Jungfer Mary
Datum: 14.08.2021,
Kategorien:
Romantisch
... Hochzeit feiern, wenn sie sechzehn war. Durch die Kriege verzögerte es sich jedoch, ihr sechzehnter Geburtstag verstrich.
"Sechzehn?", fragte ich erstaunt. "Ja, doch, so jung sieht sie sicher aus, aber die Mode damals machte wohl älter und reifer."
"Ahm", stutzte Sir Thomas, dann lachte er. "Nein, solche Kleidung wie unsere Teens sie heute tragen, gab es damals nicht. Sie stellte dafür mehr die Schönheit heraus. Gerade Frauen von Adel ließen da tief blicken."
"Dem kann ich aus vollem Herzen zustimmen", lächelte ich etwas wehmütig. "Aber warum hatte sie ein trauriges Schicksal. Auf dem Bild sieht sie doch aus wie das blühende Leben."
"Ob traurig das richtige Wort ist", sagte Sir Thomas, "das sei dahingestellt. Sagen wir seltsam und ..." Er brach ab, fummelte an seiner Pfeife herum, bis sie wieder zog, erst dann fuhr er fort. "Auf jeden Fall errang sie angeblich die Aufmerksamkeit eines Bediensteten. Völlig betrunken soll er eines Abends über das noch unschuldige Mädchen hergefallen sein. Die damaligen Frauen waren ein raues Leben gewohnt. So wehrte sich auch Mary wie eine Löwin. Was genau geschah, weiß heute kein Mensch mehr; auf jeden Fall fand man Jungfer Mary und ihren Angreifer, dicht umarmt aber tot am Fuße der Burg. Sie müssen über die Brüstung gefallen sein, gut zehn Meter tief. Zu einer vermuteten Vergewaltigung kam es aber wohl nicht, Marys Jungfräulichkeit blieb unbeschadet. Sean, der zukünftige Ehegatte, stürzte sich der Sage nach ebenfalls vom Dach, ...
... wohl, weil er unfähig gewesen war, seine Zukünftige zu beschützen ..."
Ich trank mein Glas leer. Das Schicksal dieses Mädchens berührte mich sehr eigentümlich. Umgehend schenkte mir Sir Thomas nach. Er schob auch den Wasserkrug zu mir rüber; ich übersah ihn geflissentlich, jetzt brauchte ich Whisky pur, auf den Schreck mit Mary hin.
Pa hatte die ganze Zeit nur still zugehört. Der Riesenhund hatte meine Schuhe inzwischen blank. So legte er halt seinen dicht behaarten Kopf auf mein Knie. Er sabberte ein wenig - ich verstand jetzt, warum der Earl Cordhosen trug. Die sind wohl praktischer als teuerer Tweed.
"Ach ja, das habe ich vergessen zu sagen", lächelte Sir Thomas. "Jetzt wohnt die Jungfer Mary im alten Wachraum, diesem runden Türmchen an der Außenmauer ..."
"Wie bitte?", fuhr ich auf.
"Als Schlossgespenst", grinste Sir Thomas. "Sie wurde recht oft gesehen, wie sie traurig durch die Gänge des Haupthauses schlich. Es wird behauptet, auf der Suche nach einem passenden jungen Mann!", lachte er dann laut los. Alle drei Hunde hoben den Kopf, der Butler erschien an der Türe, entfernte sich aber gleich wieder. Er hatte wohl erkannt, dass er nicht gemeint war. Das Lachen von Sir Thomas wurde noch lauter. Der Hund vor seinen Füßen verzog sich hinter den Sessel. Ich fühlte mich ein wenig veräppelt.
"Ja. Angeblich, bis sie von einem liebenden jungen Mann erlöst wird!", fügte Sir Thomas etwas ernster werdend hinzu.
Immerhin hörte ich dem wieder aufkommenden Gespräch ...