1. Zugfahrt


    Datum: 28.03.2019, Kategorien: Schamsituation

    Es war im Büro später geworden. Gerade freitags ist das immer ärgerlich.
    
    Die Woche hatte sich mal wieder in die Länge gezogen. Nicht, dass mir mein Job nicht Spaß macht. Als Leiter eines kurz vor der Serienfertigung stehenden Projektes stand ich derzeit stets unter Volldampf. Bei den Zulieferverträgen waren die „Ungenauigkeiten“ ausgebügelt, die Lieferanten waren inzwischen in der Spur. Auch die Fertigung im eigenen Hause war gut aufgestellt. Eigentlich standen nichts und niemand einem vorzeitigen Start ins Wochenende im Wege. Verträumt gingen meine Gedanken bereits zum Kiesteich, an dem ich bei herrlichem Sommerwetter diese Arbeitswoche hinter mich lassen und ein paar Sonnenstrahlen genießen wollte. Vielleicht hatte ich auch noch die Chance, ein paar Runden zu schwimmen.
    
    Doch natürlich kam es anders. Die Leitung unseres Konzerns in Köln wollte kurzfristig noch einige Details geliefert bekommen. Chef- und vorstandstauglich, das bedeutet einfach im Inhalt und exakt im Präsentationsdesign. Das passierte nicht zum ersten Mal und somit brachte mich das dann auch nicht aus der Fassung. Schnell hatte ich die geforderten Charts zugemailt. Ich wartete nur noch auf die telefonische Rückmeldung, dann sollte mein Wochenende beginnen. Immerhin hatte ich noch etwa zweieinhalb Stunden Zugfahrt vor mir. Doch so einfach war es dann doch nicht. Die werten Vorstandsherren brauchten per Videokonferenz noch einige Erläuterungen. Und so gingen meine wertvollen Minuten ins Land.
    
    Zwei ...
    ... Stunden! Ganze zwei Stunden hat mich das gekostet. So kam es, dass ich zwei Züge später unterwegs war. Aber es hat auch eine positive Seite. Während ich üblicherweise mitten im Berufsverkehr fahre, habe ich nun fast den gesamten Wagon für mich. Da ich viel unterwegs bin, ziehe ich die Fahrt in der ersten Klasse vor. Man bekommt die Getränke gebracht und hat auch wesentlich mehr Beinfreiheit. So kann ich wenigstens schon im „Anflug auf das Wochenende“ etwas entspannen.
    
    Ich lese was von Fitzek. Mein Blick geht zwischendurch aus dem Fenster, es ziehen ein paar Wolken auf. Nun ja, das mit dem Schwimmen wird vielleicht nichts mehr werden. Abwarten, sich nicht vorschnell verjagen lassen.
    
    Mit mir im Abteil sitzt eine Frau mittleren Alters. Typ Chefsekretärin, nicht so „meins“. Kombination aus Midi-Rock und Jackett im Business-Look dazu eine weiße Bluse. Schwarze Pumps mit mittleren Absätzen, seidige Strümpfe liegen auf den hübschen Beinen. Eine schicke Brille schmückt ihr nur leicht geschminktes Gesicht. Leider sind die Haare sehr streng hinter dem Kopf zusammengefasst. Sie haben eine interessante Mischung aus Blond und leichtem Rot. Sie schmunzelt. Mist, ich habe sie zu lange angesehen und sie hat es bemerkt. Ich lächele ihr zu und nicke ganz leicht, um mich dann wieder meinem Buch zuzuwenden.
    
    Unsere Blicke treffen sich erneut, als ich aufblicke. Blitzartig flüchte ich mich in die Lektüre und taste mich ganz vorsichtig wieder zu ihr vor.
    
    „Das sieht aber sehr übel aus“, ...
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