Ausweglos - Teil 1
Datum: 01.11.2018,
Kategorien:
BDSM
... hätte es leichter gehabt als sie, die Vollwaise. Sie glaubt das übrigens noch heute. Von wirklichen Freundinnen konnte zumindest damals keine Rede sein, eher von Konkurrentinnen, die respektvoll miteinander umgingen. Aber aus diesen gemäßigt konkurrierenden Kleinstadt-Streberinnen wurden später an der Uni vornehmlich durch ihre Herkunft verbundene Streitgenossinnen. Aber hatte ich es wirklich einfacher? Vom Intellekt her waren wir uns ebenbürtig, Anja mit Stärken im sprachlich-musischen Bereich, ich hatte die Nase bei den Naturwissenschaften etwas vorn. Aber bei uns beiden manifestierten sich die Unterschiede nur in Nuancen. Wir hätten für gute Leistungen nichts tun müssen. Aber gute Leistungen wären eine Niederlage für uns gewesen. Alles unter einer 1 befriedigte mich nicht und machte sie wütend. Und deshalb büffelten wir wie die Wahnsinnigen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, wenn ich an die von uns einerseits begeisterten, andererseits aber auch verzweifelten Lehrer denke. Verzweifelt spätestens dann, wenn wir sie vor versammelter Klasse nicht selten mit unerwarteten Fachfragen löcherten. Aber – hatte ich es leichter? Sicher, meine Mutter war Pionierleiterin an der POS „Sophie Scholl“, eine stadtbekannte, engagierte und anerkannte Frau. Anerkannt in Eltern-, Kollegen- und Parteikreisen. Anerkannt aber auch bei Skeptikern und Gegnern, sofern man die überhaupt so nennen kann. Vermutlich zählte sie zu den wenigen Pionierleiterinnen der Republik, die offene und gute ...
... Kontakte zu den Kirchengemeinden der Region pflegten. Sie war in unserer kleinstädtischen Idylle eine Instanz, eine Person, deren Wort etwas galt. Und gerade deshalb hatte ich es nicht leichter als die anderen! Jeder dachte, ich genösse Vorteile durch meinen Status als „Tochter“. Aber dies war nicht der Fall. Nichts wurde mir geschenkt. Sie war eine starke Frau, die sich in ihrem Leben immer wieder durchsetzen, bewähren musste. Und sie wusste – was auch ich heute weiß, wofür ich sie in frühen Kindertagen aber oft hätte verwünschen können – dass man sich Dinge selbst erarbeiten muss, um daran selbst ein tiefere innere Freude und Genugtuung zu finden. Das Glück über eine „geschenkte“ Note oder einen Sieg im Sport empfindet nur der Mensch, der keine Ansprüche an sich selbst hat, dem es lediglich darauf ankommt, wie er von seiner Umwelt wahrgenommen wird. Und so musste ich für vieles besonders schwer arbeiten: 1. um die Leistung zu erbringen, 2. um dies wirklich selbst zu tun und durchaus angebotene Handreichungen abzulehnen, 3. um dabei den Ansprüchen meiner Mutter zu genügen und 4., das zumindest seit EOS-Zeiten wohl schwierigste – um vor mir selbst zu bestehen. Wie dem auch sei: tatsächlich hatte es Anja leichter, da die Punkte 2. und 3. für sie nicht galten und der 4. von allenfalls untergeordneter Bedeutung für sie war.
Die Aufnahme
Ja, das war Anja. Und Anja war es, in deren Wagen ich am 4. Januar saß. Sie steuerte ihn über die AVUS aus der Stadt heraus, jagte in ihrem ...