Ein Ausdruckstanz
Datum: 22.10.2020,
Kategorien:
Schamsituation
... Stadtverordnetenversammlung zu einer häßlichen Anfrage. Der für Sicherheit und Soziales zuständige Stadtrat versicherte, Polizeistreifen hätten schon dreimal routinemäßig an Freitag- oder Samstagabenden einen Blick in die Lagerhalle geworfen. Zwar hätten sie einzelne Personen angetroffen, mit denen sie auch schon dienstlich zu tun gehabt hätten, doch hätten sie in der Halle nichts feststellen können, was auf strafbares Tun hingewiesen hätte. Es bestehe deshalb keinerlei Grund zur Intensivierung der Streifendienste im Industriegelände und zu polizeilichem oder sozialamtlichem Eingreifen. Ein Teil der Stadtverordneten war nicht befriedigt von dieser Antwort. Ingrids Vater ist ein solcher Stadtverordneter und gehört einer kleinen lokalen Gruppe an, welche ein besonderes Augenmerk auf "Recht, Ordnung und Sittlichkeit" bzw. was sie dafür halten werfen. Er kündigte an, es würden sich schon Möglichkeiten ergeben, die "Jugendbande" unter die Lupe zu nehmen und nötigenfalls zur Strecke zu bringen, auch wenn die Stadtregierung einmal mehr die Ängste der Bevölkerung nicht ernst nehme.
So kam Ingrids Vater auf die Idee, seine Tochter könne sich doch einmal unauffällig unter die jungen Menschen in der Halle mischen und dann berichten, was sie gesehen habe. Ingrid war keineswegs begeistert, doch als Studentin ist sie von ihrem Vater finanziell abhängig, und sie wagte nicht, nein zu sagen. Heute Abend, es ist Samstag, besuchte sie ein Orgel- und Gesangskonzert mit modernen ...
... Interpretationen alter Meister in der evangelischen Theobaldkirche. Auf dem Nachhauseweg, der sie in die Nähe des Industriegeländes führte, kam ihr der Gedanke, sie könnte den ihr unangenehmen Auftrag ihres Vaters sogleich erledigen und einige Zeit dem Treiben in der alten Lagerhalle zusehen. Niemand schien von ihr Notiz zu nehmen, als sie kurz vor zehn Uhr die Halle betrat. Die Lautstärke der Musik und auch deren Stil waren nicht nach Ingrids Geschmack. Ansonsten konnte sie nichts Auffälliges feststellen, weshalb sie sich bereits nach fünf Minuten wieder dem Ausgang zuwandte und die Halle verlassen wollte. Doch auf dem Vorplatz lief sie Pia in die Arme. Mit ihr hatte sie vor mehr als sieben Jahren einmal einige Zeit die Schulbank gedrückt. Was machst denn du hier, fragte Pia. Ingrid antwortete nicht gerade überzeugend, sie sei zufällig vorbeigekommen. Pia packte Ingrid am Unterarm und führte sie zurück in die Halle. Ingrid wehrte sich nicht. Nun bildete sich rasch ein großer Kreis um sie. Die Tür, durch welche eben Pia und Ingrid die Halle betreten hatten, fiel ins Schloß. Das ist doch die Tochter des Lemmenmeyers, der in der Stadtverordnetenversammlung das Maul über uns aufgerissen hat, hört sie eine männliche Stimme. Sie will offenbar wissen, was bei uns läuft, um dann darüber bei ihrem lieben Papa zu tratschen. Eine Spionin! Ingrid schwieg. Im Innersten schämte sie sich, denn die jungen Menschen haben eigentlich richtig erkannt: sie ist eine Spionin. Und diese Menschen hatten ihr ...