Fünfkantwald II
Datum: 03.07.2022,
Kategorien:
Schamsituation
(Fortsetzung)
(3) Bis jetzt bin ich unter dem Eindruck des Geschehens in der Waldlichtung gestanden und habe mir wenig weitergehende Gedanken gemacht. Jetzt bin ich aber allein, und jetzt habe ich Angst. Mein Herz schlägt wild.
Rund 250 Meter entfernt steht ein Bauernhof. Soll ich zu diesem reiten und um Hilfe bitten? Es gibt nur zwei Gemälde von mir, und die hängen in der Razenburg. Bei den seltenen Auftritten in der Öffentlichkeit trage ich mein Haar hochgesteckt und mein Gesicht ist bleich gepudert. Ich trage gepflegte Kleidung. Jetzt aber fallen meine Haare bis in die Mitte meines Rückens. Ich bin ungeschminkt und nicht bekleidet. Es käme fast einem Wunder gleich, wenn ich von den Bauersleuten erkannt würde. Vielmehr riskierte ich, als unzüchtiges Weib der Gendarmerie übergeben zu werden. Nein, den Bauernhof aufzusuchen muss ausser Betracht fallen.
Ich steige auf die Braune und reite langsam Richtung Westen. Ich mache mich also auf den Heimweg. Im Moment erblicke ich weit und breit keine Menschen, die mich sehen könnten. Mir geht durch den Kopf, dass Gerlinde mir fast ein Kompliment gemacht hat, als sie mich mit der tapferen Lady Godiva gleichsetzte. Meine Gedanken sind aber mehr bei Maria Antonia, mit welcher ich entfernt verwandt bin. Diese, besser als Marie Antoinette bekannt, die frühere Königin von Frankreich, wurde vor neun Monaten auf einem Karren an grölendem Volk vorbei durch Paris zur Richtstätte geführt. Es ist gotteslästerlich, mein Schicksal mit ...
... demjenigen Maria Antonias zu vergleichen. Mein Ritt nachhause, so beschämend er auch sein dürfte, führt nicht in den Tod. Doch liegt das Fürstentum Razenfeld nur etwa 70 Kilometer von der Grenze Frankreichs entfernt und die Revolutionsereignisse fanden Eingang ins Bewusstsein der Untertanen meines Papas. Das Fürstenhaus ist im Volk wenig beliebt. Meine Mama hatte noch die Gabe, auch auf einfaches Volk zuzugehen und damit etwas Vertrauen zu schaffen. Meinem Papa ist solches Vertrauen egal; er vertraut auf seine Macht und die Gewalt der Burgwache. Und ich? Ja eben, ich bin das Dummerchen, ich habe den vertrauensvollen Umgang mit Menschen nie geübt. Ich weiss, dass es Untertanen meines Papas gibt, welche ihm das Schicksal Ludwigs XVI, also den gewaltsamen Tod, durchaus zu gönnen vermöchten, und die wohl auch kaum Mitleid mit dem Prinzesschen verspüren würden. Wenn ich nun nackt quer durch das Fürstentum an Menschen vorbeireiten muss, drohe ich Würde und Ehre zu verlieren. So fürchte ich zumindest. Und wie werden Papa und seine engsten Staatsdiener reagieren, wenn ich so in der Razenburg eintreffe?
Ich lasse mich von meiner Braunen führen. Sie kennt den Heimweg. Zweieinhalb Kilometer sind wir nun schon unterwegs. Nun erreichen wir eine Wegkreuzung und es gilt einen Entscheid zu fällen. Soll ich links abbiegen und in weitem Bogen Etteldorf umkreisen, was einen Umweg von mehr als vier Kilometern bedeuten würde? Oder soll ich direkt durch das Dorf reiten? Ich bin unschlüssig, doch ...