Schlaflos in Giesing - S01E03
Datum: 10.08.2022,
Kategorien:
CMNF
Gleich unerwartet wie fröhlich erklang die Ouvertüre von Rossinis Wilhelm Tell und schreckte etwa 100 Japaner und sonstige Interessenten an der bayrischen Monarchie aus der zähen Schlossführung. Edeltraud Nerlinger fingerte entnervt und mit einem hektischen "Excuse me – Entschuldigung!" ihr Smartphone aus der bunten, selbstgehäkelten Wollhülle.
"Was willst du Siegfried?", grantelte sie ihren Ehegatten am anderen Ende der Leitung an.
"Du Traudl du wirst es nicht glauben, aber wir haben einen C-43 am Grünwalder!", bahnte sich dumpf-dröhnend die Stimme ihres Mannes an das Ohr.
"Ich verstehe kein Wort, Sigi! Ich muss jetzt auflegen, ich habe eine Führung zu machen!", gab sie barsch zurück.
"Nein, warte Traudl! Du hast doch Physiologie studiert...oder?", Sigi klang so verzweifelt, dass sich Edeltraud seiner erbarmte und das Gespräch fortführte.
"Psychologie,Sigi! Ja und?", fragte sie etwas verwirrt.
"Mei super. Weißt Traudl, könntest du bitte sofort mit da U1 nach Giesing runterdüsen? Mir brauchen nämlich jemanden für's Kriseninternations...äh zum Helfen!", antwortete ihr panischer Ehemann.
"Sag mal, hast dir jetzt den Verstand endgültig weggesoffen?", schrie Edeltraud nun wütend,
"Ich muss noch bis halb acht circa 500 Menschen durch Schloss Nymphenburg führen und wenn ich des nicht tue, dann bin ich gefeuert! Und dann werden wir ja sehen, ob dein Beamtengehalt reicht, um in der Innestadt zu wohnen!", mit diesen Worten legte sie abrupt auf. Sichtlich ...
... verstimmt führte sie ihre Gruppe weiter Richtung Schönheitengalerie.
Nun war Kommissar Sigi ratlos. Seine Geheimwaffe war wirkungslos verpufft. Jetzt musste er sich wohl wirklich an seinen Erzfeind wenden. Er und der Einsatzleiter der Schnellen-Eingreiftruppe-Isar West, Hauptkommissar Ignaz Maierhannes waren nicht gut aufeinander zu sprechen, seit dieser Sigi, wegen Trunkenheit im Dienst, aus selbiger Spezialeinheit verbannt hatte. Düster dreinblickend wählte er die Nummer der Zentrale."Codename Isarindianer!", sagte er nur, dann legte er wieder auf. Hoffentlich würden die wilden Demonstrantinnen denen das Leben so richtig schwer machen!
Melchior bellte hungrig. Langsam verschwand die Sonne aus den Häuserschluchten und verdunkelte die Straßenzüge rund um das alte Stadion, dem Ursprung all des nachmittäglich Erlebten. Kurt-Egon Hammerstein war Müde, seine graufarbenen Locken hingen schweißnass und zerzaust herab. Er wollte nur noch nachhause. Da hörte plötzlich hinter sich eine Stimme, sie rief: "Hey, stehen bleiben!" Es war das Mädchen. Sie holte ihn ein und schlang, als wären sie alte Freunde, den Arm um ihn. Er wehrte sich natürlich nicht, selbst Melchior schien die Fremde in sein Herz geschlossen zu haben, zumindest bellte er nicht.
"Ich bin übrigens Tatjana!", sagte sie, lächelte und gab ihm, im Verhältnis zu ihrer ersten Begegnung, fast schon schüchtern die Hand.
"Und sie?"
Kurt-Egon Hammerstein nannte recht zittrig seinen Namen, zu sehr war er immer noch ...