1. Lisa, Fluch oder Segen


    Datum: 28.05.2019, Kategorien: 1 auf 1,

    ... bringen würde, nicht zu antworten, darum meinte ich etwas barsch zu Lisa: "Mach die Augen zu und zähle Scharfe!"
    
    "Habe ich gemacht, bringt nichts. Die Viecher sehen alle gleich aus und ich musste schon mehrmals von vorne anfangen, denn ich habe mich mehrmals verzählt!"
    
    In der Dunkelheit des Raums verdrehte ich die Augen, denn ich wollte meine Ruhe, meinen Schlaf haben.
    
    "Und was meinst du, was man dagegen tun kann?", kam von mir, wobei ich mich selber hätte ohrfeigen können. Eine Frage, die es in sich hatte. Sie war auf viele Arten und Weisen deutbar, aber zum Glück entschied sich Lisa zu etwas anderem.
    
    "Kannst du mir etwas vorlesen?"
    
    Um ehrlich zu sein, hatte ich mit vielem gerechnet, aber damit nicht. Als sie klein gewesen war, hatte ich es öfters gemacht, aber das war nach meiner Ansicht Millionen Jahre her und es kam mir seltsam vor.
    
    "Was möchtest du denn gerne vorgelesen haben!", entschied ich zu antworten, denn damit spielte ich den Ball zurück und hoffte, dass Lisa nichts Intelligentes einfiel. Doch da hatte ich mich getäuscht. Wahrscheinlich hatte sie lange darüber nachgedacht, vielleicht erst hier im Schlafzimmer, wahrscheinlich wesentlich länger.
    
    "Was hältst du davon, mir aus dem Märchenbuch vorzulesen, dass du früher genommen hast?"
    
    Jetzt wurde es mehr als seltsam. Darauf wäre ich niemals gekommen. Aber warum nicht. Schon lange hatte ich mir vorgenommen, die Märchen noch einmal zu lesen, denn sie waren anderes als die, die man kannte. Keine ...
    ... Brüder Grimm, kein Andersen. Im Buch war eine Sammlung von Märchen der Welt. Sie stammten von vielen Völkern und waren ein Sammelsurium von fremdartigen Gedanken, Sehnsüchten und Ängsten. Teilweise vollkommen andere Welten als die, die man kannte.
    
    Da ich wusste, dass Lisa keine Ruhe gegen würde, wenn sie nicht bekam, was sie wollte, machte ich das Licht an, kletterte ungelenk aus dem Bett und tappte in mein Arbeitszimmer. Hier fand ich es schnell im Bücherregal und nahm es mit ins Schlafzimmer.
    
    Kaum lag ich im Bett, rückte Lisa auf einmal auf meine Seite, legte ihren Kopf auf meinen Bauch, griff nach einer meiner Hände und legte sie an ihren Kopf.
    
    Mir war klar, was sie wollte und musste grinsen. Während ich mit der freien Hand das Buch aufschlug, begann ich sie am Kopf zu kraulen und die empfindliche Haut zu massieren. Als Antwort kam von Lisa ein leises Knurren des Wohlbefindens.
    
    Wenige Sekunden später las ich Lisa vor. Dabei konnte ich mich nicht an jedes der Märchen erinnern, die ich vorlas, denn einige hatte ich ausgespart, als ich Lisa früher vorlas. Sie waren nichts für kleine Mädchen gewesen. Jetzt spielte es keine Rolle mehr.
    
    Die Märchen waren nicht lang, nicht mehr als ein paar Seiten. Schon nach der Vierten konnte ich hören und fühlen, dass Lisa eingeschlafen war. Also legte ich das Buch weg, löschte das Licht und kraulte Lisas Kopf noch eine Weile weiter, während ich ebenfalls meine Augen schloss. Doch nicht mehr lange, denn auch ich schlief wenig ...
«12...474849...99»