1. Doro 01: Die Verhaftung


    Datum: 16.10.2019, Kategorien: Nicht festgelegt,

    ... den sie zuhause in der Stadtbibliothek ausgegraben hatte, gelernt, dass das zeitgenössische Gebäude über einer der ältesten Kirchen des Landes errichtet worden war, deren Überreste zwar versteckt, aber erhalten geblieben waren. Zu ihrem großen Missfallen stellte sie aber schnell fest, dass die für sie interessanten Teile der Anlage nicht Teil der Tour sein würden. Stattdessen entpuppte sich die Veranstaltung als eine einzige Propagandaschau für den aktuellen Machthaber, zum Andenken dessen Vaters und Vorgängers die gewaltige Halle errichtet wurde, in die die Gruppe nach einem ermüdenden Vortrag über die jüngere, offenbar ausschließlich von Erfolgen und Triumpfen erfüllte Geschichte des Staates geführt wurde.
    
    Eine überlebensgroße steinerne Statue des Präsidentenerzeugers, deren Haupt fast an das Hallendach stieß, überragte die Menschlein und sah mit väterlich strengem Blick auf sie herab, während sein titanenhafter Arm mit einer bestimmenden Geste in eine glorreiche Zukunft wies.
    
    All das nahm Doro nur halbherzig wahr, seit sie aus dem Augenwinkel eine schmale Tür im Schatten unter dem Säulengang, der die große Halle umfing, erspäht hatte. Seither lauerte sie auf eine Gelegenheit, sich unbemerkt abzusetzen und die wirklich lohnenswerten Baudenkmäler auf eigene Faust zu finden. Wenn sie einem Museumswärter über den Weg lief, würde sie einfach sagen, dass sie versehentlich von der Besuchergruppe getrennt wurde und sich verlaufen hatte. Am Eingang hatten Warnschilder in ...
    ... mehreren Sprachen mit Geldbußen für unerlaubtes Betreten gedroht. Wenn sie diese würde zahlen müssen, wären die Kosten als alternatives Eintrittsgeld in Doros Augen angemessen und sie würde die Strafe begleichen.
    
    Als der Reiseleiter sich umdrehte und die Gäste aufforderte, ihm zu folgen, huschte Doro hinter eine Säule und von dort durch den engen Türspalt. Mit klopfendem Herzen drückte sie sich gegen die Wand und lauschte den sich entfernenden Schritte der Touristen, bis endlich Stille herrschte. Offenbar hatte niemand bemerkt, dass sie sich abgesetzt hatte. Erst dann sah sie sich um. Eine Treppe nach unten am Ende eines kurzen Flurs erschien ihr sehr verheißungsvoll.
    
    Bald bedauerte sie, den bebilderten Reiseführer aus der Bibliothek nicht eingesteckt zu haben. Sie fand Mauern, die ganz gewiss schon vor Jahrhunderten aufgerichtet worden waren und Fußböden, deren Steinplatten von unzähligen Füßen ausgetreten wurden. Nur aus ihrem angelesenen Wissen und ihrer Vorstellungskraft heraus konnte sie sich ausmalen, wozu die Bauwerke gedient hatten und wer hier einst gelebt hatte. Dennoch war sie glücklich und aufgeregt, diese Monumente gefunden und mit eigenen Augen gesehen zu haben. Das war ein Abenteuer ganz nach ihrem Geschmack.
    
    Als sie sich auf den Rückweg machen wollte, erschrak sie. Welcher Weg hatte sie hierhergeführt? In ihrem entdeckerischen Eifer hatte sie nicht darauf geachtet. Sie zwang sich, ruhig zu atmen, und kämpfte die aufkeimende Panik nieder. Es war logisch, ...
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