Kumiho Na-Ri 03
Datum: 25.03.2020,
Kategorien:
Sci-Fi & Phantasie,
... keinen freien Willen oder große Macht. Es war etwas, was Menschen als Geist bezeichneten. Geister waren verwundbar gegen Bannsprüche und Reinigungsrituale. Außerdem: Ohne De-Yongs Körper, mit der Perle als Fokus, würde sich Na-Ri inmitten einer von Feinden besetzten Stadt neu materialisieren. Nackt und für mindestens einen Tag lang völlig orientierungs- und hilflos. Der Übergang zwischen den Welten war furchtbar, verwirrte den Verstand. Yun müsste sich also zu diesem Zeitpunkt hier aufhalten und Na-Ri empfangen müssen.
Ruckartig löste sich Yun aus ihren Überlegungen, ging in die Knie, ergriff mit ihrer linken Hand das Genick des getöteten Japaners und trug die Leiche mühelos zu De-Yong, der sie verwundert, aber noch immer regungslos ansah. Sie ging vor ihn in die Hocke und ihr Kopf verwandelte sich wieder in den eines hübschen Mädchens. Ihre Miene war Ernst, doch das dämonische Leuchten ihrer Augen ebenfalls verschwunden. Blitzschnell zog sie das Kurzschwert des Japaners aus dessen Gürtel und stach es mit der Spitze in den Hals des Toten. Nicht tief, nur ein etwa Finger dickes Loch in der Halsschlagader. Blut trat aus.
„Ich werde dich nicht töten. Du wirst jetzt dieses Blut trinken, und mit mir aus der Stadt flüchten!", befahl sie De-Yong.
Der runzelte die Stirn und versuchte zu begreifen, was dieser Sinneswandel zu bedeuten hatte. Warum brachte sie ihn nicht gleich um? Wollte sie erleben, wie er innerlich zerrissen würde, wenn Na-Ri wieder erschien? Sollte das ...
... seine Strafe werden? Da war die Alternative, hier und jetzt zu sterben, deutlich vorzuziehen.
„Warum sollte ich das tun? Ich sterbe ohnehin. Bring mich hier und jetzt um. Meinetwegen foltere mich, aber ich weiß ganz genau, was mich erwartet. Ob jetzt oder später, mein Tod wird schrecklich. Dann also lieber jetzt."
Yun war einen Moment lang verblüfft. Aber natürlich hatte er recht. Ihn zu foltern bis er freiwillig trank war unrealistisch. Selbst wenn sie seinen Willen brechen könnte, ohne ihn so zu verletzen, dass er anschließend nicht mehr in der Lage war, schnell mit ihr die Stadt zu verlassen, so würde das viel zu lange dauern. Sie mussten die Stadt verlassen, solange noch Panik herrschte. Yun versuchte sich daran zu erinnern, was Na-Ri ihr übermittelt hatte. So kurz ihr Austausch gewesen war, so intensiv war er auch. Wenn Kumiho-Schwestern sich auf dieser Ebene verbanden, gab es keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen. Sie hatte alles miterlebt, was De-Yong und Na-Ri erlebt hatten, als hätte sie dabei gestanden. Nein, als wäre sie selbst Na-Ri gewesen. Plötzlich fand sie das Benötigte in Na-Ris Erinnerungen. Sie setzte ihr unschuldigstes Lächeln auf. Ein Ausdruck der Reinheit, Naivität und Harmlosigkeit zeigte, welcher schon zahllose Männer in das Verderben geführt hatte.
„Zurzeit habe ich großen Hunger und Bedarf an Blut, De-Yong", sprach sie mit kindlich, unschuldigem Tonfall. „Ich könnte mich natürlich an den Samurai laben, aber die sind bewaffnet und misstrauisch. ...