Schwester Stefanie - Teil 2: Der Engel
Datum: 25.01.2019,
Kategorien:
Schamsituation
In dem Moment, als ich mich auf der Liege vor ihm schamvoll umdrehte, zerriss die Krankenkenhaussirene plötzlich die Stille im Behandlungszimmer. Dazu kam eine - unpassend – freundliche Frauenstimme aus dem Lautsprecher:
"Achtung! Achtung! Feueralarm! Dies ist keine Übung! Feueralarm! Verlassen sie sofort das Krankenhausgebäude! Folgen sie den Anweisungen des Klinikpersonals! Verlassen sie das Gebäude umgehend über die Notausgänge! Hilfsbedürftigen Patienten wird durch das Klinikpersonal geholfen! Achtung! Achtung! Feueralarm!...
Das Band lief weiter und weiter in einer Endlosschleife. Einen kurzen Moment lang fühlte ich mich wie hypnotisiert. Doch dann riss mich Dr. Fröschl aus meiner Schockstarre, "Schwester Stefanie! Schnell! Schnell! Kommen sie! Wir müssen den Patienten hier helfen, wir haben hier viele schwerstkranke, Hautkrebspatienten und Verbrennungsopfer, Kinder sind auch dabei. Sie alle können es aus eigener Kraft nicht schaffen die Klinik zu verlassen!" – Ein Feuer in einem Krankenhaus ist wirklich etwas Furchtbares. Was für eine grausame Vorstellung, ans Bett gefesselte Kinder mit schweren Verbrennungen – welch eine Ironie - können nicht fliehen, können sich nicht vor den herannahenden Flammen in Sicherheit bringen.
Ich sprang von der Liege auf und wollte aus der Umkleidekabine meine Kleidung holen, da packt mich Dr. Fröschl am Arm, "dafür ist jetzt wirklich keine Zeit, Stefanie! Nur wir, das Klinikpersonal, kennen den Notfallplan, die Rettungswege, ...
... die vielen notwendigen Handgriffe und es zählt jetzt wahrhaftig jede Sekunde ..."
Natürlich hat er Recht! Aber ich kann doch nicht splitterfasernackt durch die Gänge meiner eigenen Klinik laufen!? Patienten helfen, Betten schieben und Trost spenden alles völlig entblößt!? Als einzige Nackte unter vielen Bekleideten?!
Dann sah ich in meinem Kopf die Schlagzeilen vom nächsten Tag: „Hilflose Kinder verbrannt, weil sie sich geschämt hat!“ Daneben ein großes Foto von mir. Schließlich erlöst mich Dr. Fröschl aus meinem „Schamgefühl-Gegen-Helfersyndrom-Gewissenskonflikt“. Er reißt mich am Arm mit aus dem Behandlungszimmer auf den großen Gang, hier riecht es auch schon ein wenig verbrannt! Jetzt ist die Entscheidung gefallen: Ich muss helfen, ohne Rücksicht auf meine persönliche Gefühle! Ich rufe mir den Klinik-Notfallplan ins Gedächtnis und laufe im Geburtstagskleid über den Gang in Richtung Intensivstation. Hier liegen die Hilflosesten der Hilflosen.
Ich laufe schneller. Es ist wie in dem von Freud beschriebenen Traum. Nur das dies hier kein Traum ist! Doch wie in der Freudschen „Traumdeutung“ scheint meine Nacktheit niemand zu bemerken. Aufgrund des inzwischen beißenden Rauchs, der in der Luft liegt, ist jeder der sich noch bewegen kann, damit beschäftigt sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die fitteren Patienten rennen und drängen zu den Notausgängen. Dahinter kommen die Humpelnden, Hinkenden und dann einige mit Rollatoren. Das Klinikpersonal schiebt Patienten in ...