1. Die Frau meines Bruders


    Datum: 22.10.2018, Kategorien: 1 auf 1,

    ... der Verbindung der beiden hatte ich allerdings den Eindruck, dass es nicht um Liebe ging, sondern ums Geschäft. Mein Bruder hatte eine Frau an seiner Seite, die dem entsprach, was er für angemessen hielt und sie hatte einen Versorger, der ihr finanziell das bieten konnte, was sie für ausreichend empfand. So gesehen eher eine Wirtschaftsgemeinschaft mit beiderseitiger Gewinnoptimierung. Warum auch nicht? Wenn man so leben wollte, war das schon in Ordnung.
    
    Bis zu dem Tag der Hochzeit, war mir das aber vollkommen egal. Ich hatte nur noch wenig mit meinem Bruder gemeinsam. Wir liefen in vollkommen verschiedene Richtungen und waren darüber auch nicht traurig. Unsere einzige Verbindung waren unsere Eltern. Hier trafen wir zweimal im Jahr aufeinander, wenn einer der beiden Geburtstag hatte.
    
    Dieses Jahr würde es also ein drittes Mal geben. Ich war zur Hochzeitsfeier eingeladen worden, was aber wohl eher der Form wegen erfolgt war. Immerhin war ich ein Teil seiner Familie.
    
    Und was soll ich sagen. Die Feier war genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie glänzte vor allem dadurch, dass sie teuer war und mehr darauf abzielte zu zeigen, was er hatte. Dazu kamen seine Freunde, die auch nicht besser waren als er. Menschen die dazu neigen vorne zu lächeln, und wenn du dich umdrehst, dir ein Messer zwischen die Rippen stoßen.
    
    Ich kam mir etwas deplatziert vor und fragte mich schon nach wenigen Minuten, was ich dort sollte. Dann entdeckte ich aber die gut gefüllte Bar, die ...
    ... ebenso zeigte, wie erfolgreich mein Bruder war. Edle Tropfen aus Schottland waren zuhauf anwesend und ich neigte dazu, sie willkommen zu heißen.
    
    Meine Eltern hingegen meinten, mit ihrem gut geratenen Sohn, mithalten zu müssen. Sie hatten einen Teil der Feier finanziert und kamen sich jetzt so vor, als wenn sie dazugehörten. Doch wurden sie hinterrücks nur belächelt. Sie gehörten alles andere als dazu. Sie waren ein notwendiges Übel, was solange übersehen wurde, bis es nicht anders ging und das tollste daran war, dass sie es gar nicht bemerkten.
    
    Ich für mein Teil saß an der Bar und ließ die Zeit genussvoll vergehen. Immerhin hatte ich von hier aus alles im Blick und hatte schon wenig später ein festgetackertes Grinsen im Gesicht. Ein mitleidsvolles Grinsen, welches nicht Freude, sondern Ekel ausdrückte.
    
    So unterhielt ich mich mit dem einzigen normalen Menschen in diesem Saal, dem Barmann und freute mich meines Lebens. Das ging so weit gut, bis mein Bruder eine Rede hielt. Hatte er mich bis jetzt zufriedengelassen, wurde jetzt alles doppelt und dreifach ausgeteilt. Auch wenn er nicht meinen Namen nannte, so war allen im Saal klar, um wen es ging. Sozusagen seine Erfolgsstory, welche so interpretiert wurde, dass ich das negative Beispiel in seiner Familie war. Das schwarze Schaf, zu nichts zu gebrauchen, erfolglos und geradezu degeneriert.
    
    Diese Ansprache dauerte eine halbe Stunde und hätte kürzer sein können, wenn er von vornherein gesagt hätte, dass ich ein Verlierer ...
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