Strömlinge
Datum: 13.06.2024,
Kategorien:
CMNF
... junger Mann, schätzungsweise in Elenas Alter, also um die 25, groß, hager, mit einem pickeligen Gesicht. Auf seinem frisch gestärkten Blaumann prangte das Firmenwappen mit der Aufschrift „PGH Licht und Kraft“ und dem Symbol eines roten Blitzes darunter. Sein deutlich eierförmiger Kopf, in dessen Mittelpunkt eine lange, spitze Hakennase thronte, wurde bedeckt von einer PGH-eigenen Schirmmütze, die ebenfalls mit einem roten Blitz verziert war. Auf seinem Kinn sprossen dünne blonde Fusseln, die sich vergeblich abmühten, so etwas wie ein Bärtchen darzustellen.
„Tachchen. Der Meister schickt mich her. Soll mal ihre Elektrik kurz beäugen. Soll aber gleich dazu sagen, dass wir dieses Jahr sowieso nix mehr machen können. Sind voll verplant.“
Forsch streckte mir der Elektro-Blitz seine schmale, knochige Hand entgegen und betrat schwungvoll unseren Flur. Natürlich begrüßte ich ihn erfreut und schmierte ihm honigsüße Worte um sein flaumbewehrtes Maul. Konnte ja nicht schaden, vielleicht fühlte er sich dadurch geschmeichelt und in seiner Wichtigkeit bestärkt und würde dann ein zusätzliches gutes Wort für uns bei seinem Meister einlegen. Außer natürlich von unserem außergewöhnlichen Goldstaub zu berichten…
Ich fragte ihn, was er sich von unserem altehrwürdigen Elektrizitätswerk denn zuerst ansehen wolle, und er entschied sich spontan für den Verteiler- und Sicherungskasten. Dabei hob er seinen langen dünnen Zeigefinger und belehrte mich, dass dies schließlich das Herzstück ...
... aller Strömlinge in unserem Hause sei.
Nun denn, ich wies ihm den Weg und deutete auf die Tür am anderen Ende des Flures, hinter welcher sich unser Fitnessraum befand. Manche nennen so was auch Schlafgemach. Das wusste der junge Blitz natürlich nicht. Und was wir in diesem Moment beide nicht ahnten, war, dass Elena genau dort die Initialzündung für ihren Angriff auf das gewiss noch recht jungfräuliche Gefühlsleben des PGH-Mannes installiert hatte.
Mit langen, schlaksigen Schritten durchmaß der Facharbeiter unseren Flur und stieß kühnen Mutes die von mir gewiesene Tür auf. Er tat noch zwei Schritte in den Raum hinein und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Das hoch aufgeschossene, magere Gestell seines Körpers versteifte sich schlagartig, als hätte er gerade einen Besenstiel gefressen, sein Eierkopf flog auf dem Storchenhals nach vorn und in dieser Positur erstarrte er zur Statue.
Ich war zunächst einmal äußerst irritiert angesichts der plötzlichen Lähmung des eben noch so quicklebendigen jungen Mannes und stellte bereits erste Überlegungen darüber an, ob ich mir eventuell Sorgen um seine gesundheitliche Verfassung machen sollte. Vorsichtig näherte ich mich ihm von hinten und spähte nun ebenfalls in jenen Raum, in welchem sich – wie ich als nunmehr aufgeklärter Staatsbürger wusste – das Herzstück meines Saftes befand. Wie man den Strom salopp ja auch gelegentlich bezeichnet.
Und so war es in der Tat! Das Herzstück meines Saftes lag dahingestreckt auf unserer ...