1. Lisa, Fluch oder Segen


    Datum: 28.05.2019, Kategorien: 1 auf 1,

    ... interessieren. Einen Freund hatte sie die ganze Zeit nicht. Ich fragte sie danach, aber sie war der Meinung, dass die Jungen alle zu dumm wären. Sie bräuchte etwas mit mehr Intellekt.
    
    Dabei sah sie mich einen Moment lang anders an als sonst. Einen Blick, den ich von ihr nicht kannte. Aber der verschwand innerhalb kürzester Zeit und ich fragte mich, ob dieser Blick Wirklichkeit gewesen war. Ich konnte es nicht sagen. Vielleicht hatte ich mich getäuscht.
    
    Zu ihrem 18 ten Geburtstag bekam Lisa von ihrem Vater ein Auto geschenkt. Kein Neues, aber immerhin eines, mit dem sie sich blicken lassen konnte. Dabei wäre es egal gewesen. Lisa sah in dem Auto nur das, was es war. Ein Fortbewegungsmittel, was sie von A nach B brachte und zurück. Wenn sie das Fahrzeug wusch, was selten vorkam, hatte man danach den Eindruck, als wenn es eine neue Farbe hatte.
    
    Jetzt konnte sie in die nächste Stadt fahren und dort in die Bibliothek gehen, was sie gerne tat. Trotzdem kam sie öfters zu mir, setzte sich in den bekannten Sessel und las in den Büchern, die sie ausgeliehen hatte. Es kam mir seltsam vor, aber da ich es gewohnt war, dass sie dort saß, auch wieder nicht. Sie genoss die Ruhe bei mir, denn sie sagte immer, dass es bei ihr Zuhause, viel zu hektisch wäre. Außerdem wäre mein Cateringservice besser. Wenn sie das sagte, grinste sie mich an, was für ich bedeutete, dass sie einen Happen vertragen konnte.
    
    Inzwischen hatte ich mir einen zweiten Sessel gekauft, denn mein eigentlicher, ...
    ... war zu oft von Lisa besetzt. Hatte ich gehofft, dass sie jetzt den neuen in Beschlag nahm, hatte ich mich getäuscht. Sie sah ihn nicht einmal an, ließ ihn unbeachtet.
    
    Es kam vor, dass wir jetzt nebeneinander in den Sesseln saßen, beide ein gutes Buch auf den Beinen liegen hatten und derart vertieft darin waren, dass wir stundenlang nicht miteinander sprachen. Man hätte uns für stumm halten können. Nur das Geräusch von Buchseiten, die umgeblättert wurden, unterbrach regelmäßig die Stille. Es kam vor, dass Lisa leise lachte, wenn sie an eine witzige Stelle kam, auch hatte ich beobachtet, als ihr eine Träne über die Wange lief. Sie wischte diese schnell ab.
    
    Überhaupt beobachtete ich sie öfters von der Seite. Sie dagegen sah sehr selten auf. Ihre Augen klebten auf den Buchstaben, Wörtern und Sätzen, die sich in ihrem Kopf zu einer Story verbanden. Wenn sie doch den Kopf hob, was nur geschah, wenn sie umblätterte, sah ich schnell weg.
    
    Viel gab es bei ihr nicht zu entdecken, trotzdem schielte ich öfters herüber, dabei wusste ich nicht einmal warum. Ich mochte sie, sie war ein Teil meines Lebens geworden, und wenn ich es mir überlegte, genoss ich es, wenn sie da war.
    
    Lisa war inzwischen zwanzig Jahre alt geworden und ich machte mir langsam Sorgen um sie. Immerhin war sie eine Frau in den besten Jahren, doch einen Partner hatte sie noch nicht gehabt. Soweit ich feststellen konnte, weder männlich noch weiblich, was auch möglich gewesen wäre.
    
    Wenn ich sie vorsichtig darauf ...
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