1. Lisa, Fluch oder Segen


    Datum: 28.05.2019, Kategorien: 1 auf 1,

    ... Grundlage. Ich beantrage daher Freispruch und Wiedergutmachung für die ungerechtfertigte Anschuldigung!"
    
    Lisa ging zu einem der Sessel und stellte sich darauf, war damit um einiges höher als sonst. Sie blickte auf mich herab und machte ein nachdenkliches Gesicht.
    
    "Ihr beantragt also Freispruch, wollt also damit sagen, dass ihr euch keinem Verbrechen schuldig gemacht habt. Dabei ist ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass sie meine Mandantin beleidigt haben. Sie haben ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich lieber selber Freude machen als sie daran zu beteiligen. Schämen sie sich nicht?"
    
    "Mich zu schämen ist nicht Gegenstand der Verhandlung!", meint ich trocken und sah Lisa tief in die Augen.
    
    "So. Meinen sie. An die seelischen Schäden denken sie dabei nicht. Es können tiefe Risse in der Seele auftreten, die nur schwer oder gar nicht mehr verheilen. Ich muss sagen, sie sind ein Angeklagter, der sich um das Wohl anderer Mitmenschen keine Gedanken macht. Daher kann ich ihrem Antrag auf Freispruch nicht Folge leisten. Das genaue Strafmaß werde ich nach einer kurzen Unterbrechung bekannt geben. Wir müssen ihnen den Pluspunkt zugutehalten und mit einberechnen, den sie zuvor bekommen haben. Welche Erleichterung dabei für sie herauskommt, wird sich noch zeigen!"
    
    "Ich protestiere!", erhob ich meine Stimme, "Die Verhandlung ist eine Farce. Meine Argumente wurden nicht stark genug gewichtet. Ich verlange einen neuen Termin, eine neue Verhandlung!"
    
    "Sie protestieren? ...
    ... Verlangen etwas. Sie sind nicht in der Position etwas zu verlangen. Seien sie froh, wenn das Urteil Milde ausfällt. Schluss damit. Ich will von ihnen nichts mehr hören!"
    
    Die letzten Worte stieß Lisa laut und mit Nachdruck aus. Sie stieg vom Sessel herunter und schlenderte aufreizend an mir vorbei, sah mich dabei abwertend von oben herunter an. Als sie neben mir war, flüsterte sie: "Uhhh, die war aber streng. Hoffe mal, dass es nicht zu schlimm für dich wird. Ich befürchte aber, dass sie keine Männer mag. Wahrscheinlich kommt sie aus dem anderen Lager. Also Vorsicht. Es kann nur noch schlimmer kommen!"
    
    Langsam bewunderte ich das schauspielerische Können von Lisa. Sie konnte sich innerhalb weniger Augenblicke komplett umstellen. Ein Umstand, den ich in nächster Zeit stärker verfolgen musste. Wenn sie es jetzt, bei etwas Unwichtigem wie dieser Verhandlung konnte, wie verfuhr sie erst, wenn es um etwas ging. Wie weit würde sie gehen. Wie manipulativ würde sie sein, um ihre Ziele zu verfolgen. Ich wusste es nicht.
    
    Lisa ging aus dem Raum und ich hörte sie in der Küche hantieren. Sie schien sich ein Brot zu machen und kam wenig später mit einem Brett in der Hand zurück, außerdem klemmte ein Buch unter ihrer Achsel.
    
    "Na, die Richterin noch nicht zurück? Das kann kein gutes Zeichen sein. Normalerweise geht das schneller. Aber Kopf hoch, wird sicher nicht schlimm werden!"
    
    Lisa zwinkerte mir zu und setzte sich in ihren Sessel, legte da Buch ab, aß in aller Seelenruhe ihr Brot ...
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