1. Eine emotionale Affäre


    Datum: 23.04.2025, Kategorien: Hausfrauen

    ... an ihren Finger zu stecken.
    
    Gegen 19 Uhr erhob sich ein geschäftsmäßig gekleideter Mann Ende 40 von seinem Barhocker an der Theke, an der er schon seit dem Zeitpunkt saß, an dem Renate die Bar betreten hatte, und näherte sich ihrem Tisch. Sie sah nicht zu ihm auf, als er vor ihr stand und seine Statur den Tisch in einen Halbschatten hüllte. Als er sie fragte, ob er sich zu ihr setzen und ihr ein Getränk ausgeben dürfte, blickte sie auf, sah in kurz an und beantwortete seine Frage emotionslos mit einem klaren und eindeutigen „Nein". Er wollte sich als Mann darstellen, für den ein „Nein" keine Antwort war und ergriff den ihr gegenüberstehenden Stuhl und wollte sich zu ihr an den Tisch setzen. Renate stand auf und fuhr den Mann in einer Lautstärke an, dass jeder im Barraum ihre Worte hören konnte: „Ist Ihnen die Bedeutung des Wortes ‚Nein' unbekannt? Ich bin verheiratet und fordere sie auf, mich in Ruhe zu lassen." In einem versöhnlichen Ton schloss sie ihre kleine Wutrede mit dem Wort „Bitte". Der Mann hatte verstanden und schlich zurück zur Theke.
    
    Natürlich war sich Renate bewusst, dass sie mit ihrem Aussehen, ihrer Erscheinung für jeden Mann eine Aufforderung darstellen musste, es bei ihr zu versuchen, zum Schuss zu kommen. Sie war eine Frau Ende 40, schlank, sportlich mit blonden, schulterlangen Haaren und auf ihren High Heels zirka einen Meter achtzig groß. Sie selbst würde sich niemals als schön bezeichnen, das taten andere für sie.
    
    Ihr Auftreten gegenüber ...
    ... diesem Verehrer zeigte ihre Entschlossenheit, sich behaupten zu müssen und es auch zu wollen. Eine Charaktereigenschaft, die sie in ihrem Beruf brauchte. Renate war Kundenbetreuerin mit dem Schwerpunkt Neukundengewinnung für ihren Arbeitgeber, der Firma LabTecnical AG mit Sitz in Hamburg, die Produkte und Dienstleistungen für Labore weltweit entwickelte, produzierte und vertrieb. Und sie war gut in dem, was sie tat. Seit fast zwanzig Jahren arbeitete sie schon für LabTecnical und hatte sich nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre von einer Assistentin der Vertriebsleitung zur stellvertretenden Vertriebsleiterin Europa hochgearbeitet. Sie war die beste Akquisiteurin, die die Firma je hatte und jetzt stand sie kurz vor dem Abschluss ihres größten Geschäftes mit der Firma Ranconia AG. Diese Gesellschaft vertrat 50 von einer US-amerikanischen Holding betriebenen Krankenhäuser in Deutschland und übernahm für diese die gemeinsame Beschaffung von Gütern, so auch von Labortechnik. Und Ranconia wollte bei Renates Firma einen Beschaffungsauftrag, gestreckt über fünf Jahre, im Gegenwert von insgesamt dreihundert Millionen Euro abschließen. Renate hatte fast drei Monate lang an diesem Auftrag gearbeitet und sich gegen viele namhaften Mitbewerber durchgesetzt. Der Vertrag war unterschriftsreif und bedurfte nur noch der Unterschriften des für den Einkauf zuständigen Vorstands Karl Böhmer und des Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Und es war Böhmer, der ihr vor wenigen Minuten sehr direkt ...
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