Der Jubilar
Datum: 22.06.2025,
Kategorien:
Nicht festgelegt,
... verhielten, nur um sich nicht ihren wahren Gefühlen stellen zu müssen. Wie manche sich an ihre Selbstbilder, die längst zerbrochen waren oder nie wirklich existiert hatten klammerten, wie andere sich selbst und ihrer Umwelt etwas vormachten, nur um sich nicht eingestehen zu müssen, wie es wirklich um sie stand. Sie spürte, dass jetzt sie die weitere Führung durch den Abend übernehmen musste und es machte ihr überhaupt nichts aus. Nein, sie fühlte sich nicht betrogen, auch wenn ihr klar wurde, dass er ihr etwas vorgespielt hatte, dazu war er einfach zu perfekt und der bisherige Abend zu schön gewesen, aber jetzt würde sie den Teil von Friedhelm Gerber entdecken, den er bisher so meisterhaft vor ihr verborgen hatte. Und Christina spürte, dass sie wirklich neugierig war.
„Du hast in Deiner mail geschrieben, Friedhelm," begann sie vorsichtig -- sie waren schon früh zum Du übergegangen, „dass du mich als Gesellschaft für einen dir persönlich wichtigen Anlass willst, weil ich Dich an jemanden erinnere, der dir viel bedeutet," sie machte eine kleine Pause: „Magst Du mir davon erzählen? Ich würde gerne mehr über den Mann erfahren, der so fantastisch kochen und eine Frau so wunderbar unterhalten kann." Friedhelm lächelte schief bei diesen Worten, antwortete aber nicht sofort. Doch dann straffte sich sein ganzer Körper, er stand auf, nahm die Flasche Wein und sein Glas und sah Christina direkt an: „Es tut mir leid, Christina, du bist genau die Gesellschaft, die ich mir für heute ...
... gewünscht habe und deshalb hast du auch ein Recht darauf zu erfahren, was für ein Affentheater ich dir hier vorspiele. Aber dazu sollten wir uns etwas gemütlicher hinsetzen, meinst du nicht auch?"
Christina zuckte zusammen bei seiner Wortwahl. „Ich habe nicht den Eindruck, dass das hier ein Affentheater ist," beruhigte sie ihr Gegenüber, „ich jedenfalls hatte schon lange nicht mehr einen so schönen Abend und einen so charmanten Gastgeber." Wieder musste Friedhelm lächeln, aber es war kein fröhliches und stolzes Lächeln, und als sie endlich im Wohnzimmer auf den Sofas Platz genommen hatten, erfuhr Christina auch, weshalb. Es war als öffnete Friedhelm einfach alle seine Schleusen und heraus kam, was ihn wirklich bewegte. Er erzählte von der Goldhochzeit und welche Gedanken er sich darum gemacht hatte. Er erzählte von Ariane und wie gut sie zusammen gepasst hatten. Er erzählte und immer wieder rollten vereinzelt Tränen über sein Gesicht. Er beachtete sie überhaupt nicht und Christina wagte auch nicht, ihn darauf anzusprechen, um ihn nicht in seinem Redefluss zu unterbrechen. Sie hörte einfach nur zu, fragte manchmal vorsichtig nach, wenn er zu schnell von einem Ereignis zum nächsten oder durch die Jahre und Jahrzehnte sprang, ließ sich mit hinein ziehen in Friedhelms Erinnerungen. Irgendwann fragte sie nach einem Foto von Ariane, um sich selber ein Bild davon machen zu können, wie ähnlich sie ihr wirklich war.
Danach saßen sie direkt nebeneinander auf einer couch und schauten ...