1. Der Jubilar


    Datum: 22.06.2025, Kategorien: Nicht festgelegt,

    ... gemeinsam ein paar der Fotoalben, die Friedhelm herbeigeholt hatte: Bilder von der grünen Hochzeit vor 50 Jahren und von Urlauben in Spanien, wohin die Eheleute immer wieder gefahren waren. Zuletzt zeigte Friedhelm noch ein paar Bilder von Ariane, als sie schon krank gewesen war. Er hatte aus dieser Zeit nicht viele Fotos und es fiel ihm spürbar schwer, die bereits vom Krebs gezeichnete Frau anzusehen. Ganz automatisch legte Christina ihren Arm um Friedhelm und drückte ihn. Er ließ es zu und sie schwiegen und er weinte ein wenig. Dann straffte er sich plötzlich wieder, wischte die Tränen mit dem Ärmel fort und räusperte sich: „Da gebe ich mir so viel Mühe, einen schönen Abend vorzubereiten und dann sitze ich hier und heule wie ein Schlosshund und verderbe alles, tut mir leid, Christina."
    
    Doch das konnte Christina nicht einfach so stehen lassen. Ohne nachzudenken nahm sie Friedhelms Gesicht zwischen beide Hände und sah ihm tief in die Augen, vielleicht so, wie eine Mutter das bei einem Kind tat, das etwas angestellt hatte: „Rede nicht so einen Unsinn, Friedhelm, du hast überhaupt nichts verdorben, ganz im Gegenteil. Was glaubst Du, wo ich mich wohler fühle: Bei irgend so einem reichen Geschäftsmann, der mich zum Vorzeigen und für sein Vergnügen bucht oder bei einem herzensguten Mann, der ehrlich um seine Frau trauert und mich zudem herrlich bewirtet und unterhält?" Und noch ehe der verdutzte Friedhelm auf ihre Frage reagieren konnte, drückte sie sanft ihre Lippen auf seine ...
    ... und küsste ihn, nicht lüstern und verführerisch aber zärtlich und liebevoll. Und obwohl er völlig überrascht war und sich innerlich etwas versteifte, sträubte sich Friedhelm nicht, sondern erwiderte den Kuss. Es war einfach zu lange her, dass er geküsst worden war und er war noch ganz von seinen Gefühlen überwältigt.
    
    Schließlich lösten sie sich wieder voneinander und eine etwas peinliche Stille trat ein, während sie sich ansahen. Christina war von sich selbst irritiert. So unprofessionell hatte sie sich noch nie verhalten, zumindest empfand sie es als unprofessionell, einen Mann, der um seine Ehefrau trauerte und ganz klar gemacht hatte, dass er an keinen sexuellen Dienstleistungen Interesse hatte, einfach so zu küssen. Das war gar nicht ihre Art. Sie sah auf die Uhr. Wenn sie jetzt professionell wäre, würde sie freundlich und einfühlsam noch ein paar Worte mit diesem Mann wechseln und dann ihren Abgang vorbereiten, aber sie spürte genau, dass dieser Abend schon längst nicht mehr in professionellen Bahnen lief, nicht nur des Kusses wegen. Einen Mann wie Friedhelm hatte Christina noch nie getroffen und damit meinte sie gar nicht sein Aussehen und seine körperliche Wirkung, die trotz seines Alters noch gewaltig war. Wenn sie daran dachte, wie lieblos ihre eigenen Eltern oft miteinander umgingen oder ihr Ex mit ihr, bevor er sich aus dem Staub gemacht hatte und jetzt ahnte, welche Zuneigung Friedhelm und Ariane wohl geteilt hatten, wurde ihr ganz warm ums Herz. Mit wie viel ...
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