1. Heilerin in Ausbildung


    Datum: 22.10.2019, Kategorien: Sonstige,

    Es kam häufig vor, dass Brid von ihrer Tante geschickt wurde, am Rande des nahen Waldes nach Kräutern zu suchen, denn ihre Tante war Heilerin und weit über die kleine Stadt hinaus bekannt, in der sie mit ihrer Nichte lebte. Von weit her kamen Kaufleute, Handwerker, Ritter, um sich von Helgard helfen zu lassen, ob nun körperliche Gebrechen, seelisches Leid oder Wunden heldenhafter Kämpfe zu kurieren waren. Brid ging bei ihrer Tante in die Lehre, denn auch sie war unter einer günstigen Sternenkonstellation geboren worden und trug die Anlagen einer Heilerin in ihrem Herzen. Dass sie besonders war, wusste sie und auch die übrigen Bewohner der Stadt, so wie auch ihre Tante. Und zum Wohle beider Frauen war noch nicht die Zeit der Hexenverfolgungen angebrochen, so dass sie ihrem mythischen Geschäft ruhig und einvernehmlich mit der gesellschaft nachgehen konnten.
    
    Wie also so oft, war Brid auch heute ausgesandt worden, am Rande des Waldes nach Kräutern zu suchen, deren Namen und Bedeutung, sie gut kannte. Des Weiteren hatte die Tante ihr auch ein Kraut aufgetragen, das ein wenig tiefer im Walde im schattigen Moos wuchs. Auch den Namen und das Aussehen dieses Krautes war Brid bekannt, denn sie hatte es bei der Tante über dem Kamin hängen sehen. Ein drittes hatte ihre Tante ihr noch aufgetragen, dass sie es holen solle, den Orcuswurz, der, so die Sage, direkt aus der Unterwelt in das irdische Licht hineinwächst und der nur sehr tief im Wald zu finden sei, so hatte Helgard es ...
    ... erklärt. Dieses letzte Kraut, wohl die schwerste Aufgabe, sei überhaupt nur unter bestimmten Bedingungen zu erkennen und auch nur in einbrechender Dämmerung. Brid solle jedoch nach dem Pflücken sich eilen, hatte die Tante gemahnt, dann schnell und ohne Unterbrechung und ohne sich überhaupt nur einmal umzusehen, aus dem Walde zu kommen, denn dort trieb sich in der Nacht so mancher Unhold und so manches Wesen und Untier herum, selbst den Leibhaftigen selbst habe man dort bereits gesehen. Allerdings habe niemand, der IHN gesehen habe, dies hinterher noch berichten können.
    
    Brid neigte nicht zur Angst und so schnürte sie morgens ihr Bündel, warf sich ihr graugrünes Cape über und das Tuch über das rotblonde Haar und zog mit einem Korb los, dem Wald entgegen, der sich düster und in Nebel gehüllt am Horizont duckte. Sie schritt weit aus und trug ein fröhliches Lied auf den Lippen und die Vorstellung zwei Tage aus dem Haus und weit weg der Obhut ihrer Tante zu sein, machte sie froh, so lieb sie ihre Tante auch hatte.
    
    Gegen Mittag kehrte sie in ein kleines Wirtshaus ein, um einen Teller Suppe und ein Stück Brot zu verzehren. Sie hatte gut etwas mehr als die Hälfte des Weges hinter sich gebracht und war zuversichtlich. Der Wirtsmann, ein stämmiger und lustiger Gesell sang für sie ein Lied von einer jungen Frau, die auszog, das Glück zu finden und nur das Unglück fand. Brid amüsierte sich in ihrem jugendlichen Übermut, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass man überhaupt Unglück ...
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