1. Sterne


    Datum: 09.12.2019, Kategorien: Romantisch

    ... zog sie die beiden Notenblätter heran und begann ihren Einsatz perfekt. Fast hätte ich vor Überraschung mit dem Spielen aufgehört. Sie brachte den Song exakt so, wie ich ihn in meinem Kopf gehört hatte, jede Intonation, jede Nuance. Nur beim Refrain, den sie in ähnlicher Weise begonnen hatte, setzte sie sogar noch einen drauf, spielte damit, spielte mit mir.
    
    Mir war schon klar, dass mein Gesichtsausdruck nach dem Verklingen des Schlussakkords alles andere als intelligent gewirkt haben musste. Mein Mund stand immer noch offen. Und sie sah mich nur an. Völlig regungslos. Verunsicherte mich, erschütterte mich in meinem Wesen, wie das noch nie jemand gelungen war. Verwirrt stellte ich die Gitarre ab. Warum sagte sie nichts?
    
    Kaum war ich auf das Sofa zurückgekehrt, schlang sie ihre Arme um mich. Presste ihre weichen Lippen auf meine, drang mit ihrer Zunge in meinem Mund ein. Küsste mich ruhig, zärtlich und löste sich nach wenigen Augenblicken schon wieder von mir. Als hätte sie einen Pfropfen gelöst, schäumte jetzt alles in mir hoch, was ich längst vergessen und verloren geglaubt hatte, griff ich nach ihrem Kopf, um sie wieder zu meinen Lippen zu führen.
    
    Sie ließ es nicht zu, löste sich von mir und schüttelte den Kopf.
    
    "Noch nicht jetzt. Es ist zu früh."
    
    Ich verstand nicht was sie meinte. Ich verstand gar nichts mehr. Was sie dazu bewogen hatte, mich zu küssen, was da in ihr, aber auch und vor allem in mir gerade vorging. So verwirrt war ich meinem ganzen Leben ...
    ... noch nicht gewesen. Ich musste irgendeine greifbare Realität finden, an der ich mich festmachen konnte.
    
    "Ich... es tut mir leid. Ich..."
    
    "Das muss dir nicht leidtun. Einen Schritt nach dem anderen."
    
    Was meinte sie? Es wurde mir nicht klarer.
    
    "Ich begreife gerade nichts mehr, sorry, du bringst mich total ins Rotieren. Aber... der Song gefällt dir?"
    
    "Ich liebe ihn, so wie ich noch nie ein Stück Musik auf dieser Welt geliebt habe. Das ist der Anfang unserer gemeinsamen Geschichte."
    
    Das wiederum verstand ich genau. Weil das exakt meine Gefühle waren. Fassungslos starrte ich in das überirdisch schöne Gesicht dieser Frau. Und der Musik. Unserer gemeinsamen Zukunft.
    
    "Spiel es nochmal. Vergiss alles, was vorher war. Gib mir unsere Musik."
    
    Wir spielten ihn noch dreimal. Jedes Mal war er um eine weitere Nuance reicher, jedes Mal trotzdem in sich vollkommen. Das Gefühl hatte ich noch mit keinem meiner Songs gehabt. Schon beim zweiten Mal schaute sie kaum mehr auf das Notenblatt. Beim dritten sah sie mich durchgängig an.
    
    Ich war verliebt. Nicht in sie, in uns. In unsere Musik. Meinte sie das? Eins nach dem anderen? Es fühlte sich so an. Da wuchs etwas Wunderbares, Reines, Tiefes, was in diesem Moment nichts, aber auch rein gar nichts anderes mehr brauchte.
    
    "Jetzt kannst du mir einen Wein bringen."
    
    Das war eine hervorragende Idee.
    
    "Ich habe einen Rotwein, das ist ein Merlot und einen Weißwein, einen Chablis. Was möchtest du?"
    
    "Den Chablis."
    
    Ich hatte ...
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