Sterne
Datum: 09.12.2019,
Kategorien:
Romantisch
... war tatsächlich schon aufgesprungen.
"Die scheiß Noten. Ich hol sie dir."
"Das brauchst du nicht. Ich hab sie auch noch. Danke Mann, echt, danke. Ich versteh ja, dass dich die ganze Sache aufwühlt. Hier."
Er reichte mir einen USB-Stick.
"Was soll ich damit?"
"Das ist unser letztes Demo. Unsere eigenen Stücke. Mit ihrem Gesang. Du brauchst ja nicht gleich zur Probe kommen. Aber höre sie dir ruhig mal an."
"Scheiße. Wenn dich das glücklich macht, leg "s da ab."
"Gibst du mir deine Nummer? Du hast doch ein Handy, oder?"
"Na, so Old-School bin ich dann auch nicht."
Kopfschüttelnd schrieb ich ihm meine Nummer auf, und drängte ihn aus der Wohnung. Verflucht. Warum musste mich die Vergangenheit jetzt einholen? Ausgerechnet jetzt. ___
Musik. Damals war sie mein Leben gewesen. Hatte sie meine Gedanken und meine Träume bestimmt. Hatte sie mich blind gemacht, für die Tiefe der Ohnmacht, mit der Tilly ihr Leben mit ihrer schweren Krankheit verbrachte. Meist war sie ja auf irgendwas gewesen, Pillen vom Doktor, Pillen von der Straße, Kokain, Heroin. Nie abhängig. Fast nie nüchtern.
Mal überschäumend vor Freude und Glück. Mal in tiefster Hölle und Angst, den Verstand zu verlieren. Therapien, die nicht halfen. Ärzte, die ihr nicht zuhörten und immer neue Pillen verschrieben. Und ich, der ihr immer wieder nur von den eigenen Träumen erzählte, deren Erfüllung uns beide befreien sollte. Sie um Zeit bat, um Geduld. Um Stärke. Die sie niemals hatte. Niemals ...
... haben konnte.
Ich starrte auf den Bildschirm, wo der rote Kanal meines letzten Bildes zusammengerechnet wurde.
Musik. Auch nach Tillys Tod hatte sie mich nicht in Ruhe gelassen. Ich hörte ständig Musik. Nicht von der Konserve, ich hörte Musik in meinem Kopf. Vieles davon hatte ich als Stücke aufgeschrieben, als ich noch in der Band war. Sie hörte aber auch nicht auf, als alles schon vorbei war.
Ich verließ Deutschland nach Tillys Tod, lebte kurz in Amsterdam und dann lange in London. Lebte mit Musikern in WGs, aber ließ mich nie wieder zu einer Jam oder anderem überreden.
Lernte eine andere Art von Musik kennen, elektronische Tanzmusik, House, Trance, Techno. Und erst als ich einen Weg fand, mich mit Musik zu beschäftigen, ohne selbst welche zu machen, hörten die kreischenden Gitarren in meinem Kopf endlich auf.
Ich wurde ein DJ, nicht mal ein schlechter, erst auf Partys, später in Clubs. Verdiente ganz ordentlich zu dem Gehalt von meinem Bürojob dazu. Hatte Fans. Keinen Ruhm. Keinen Durchbruch. Kein Ziel. Nur Musik.
Und dann Verantwortung. Nicht mehr für Tilly, für meine Mutter. Die an Alzheimer erkrankte. Die Rückkehr nach Deutschland, um für sie da zu sein. Einmal für jemand wichtigem in meinem Leben da zu sein. Ich pflegte sie neun Jahre. Bis es nicht mehr ging, und wir sie in ein Altersheim brachten, wo sie ein halbes Jahr später starb. Ich saß bis zu ihrem letzten Atemzug an ihrem Bett.
Ging nach Berlin, weil die Firma, für die ich zu der Zeit noch ...