1. Spieglein, Spieglein ...


    Datum: 30.01.2020, Kategorien: Sonstige,

    ... Anprobe für mein Brautkleid. Es wird leider den ganzen Tag dauern. Ich wünschte nur, es würde alles nicht stattfinden. Erst gegen Abend werde ich wieder hier sein. Hoffentlich könnt ihr ohne mich auskommen?"
    
    Die Frage war nicht wirklich ernst gemeint, denn sie grinste dabei in meine Richtung.
    
    "Bis heute Abend. Ich muss los!"
    
    Mit diesen Worten verschwand sie aus meinem Sichtwinkel und ich hörte nur noch, wie dir Tür zugeschlagen wurde. Dann wurde es vollkommen ruhig.
    
    Jetzt erwachte der Forschergeist in mir. Da ich davon ausging, dass es in der Nacht kein einmaliger Vorgang gewesen war, wollte ich es erneut versuchen. Klara war nicht da und würde erst spät wiederkommen. Zeit hatte ich also im Überfluss.
    
    Ich stellte mich vor den Spiegel und drückte wieder meine Handfläche dagegen. Sofort spürte ich wieder die vertraute Vibration unter der Haut. Je mehr ich meinen Druck verstärkte, umso stärker wurde es, bis es auf einmal mit dem bekannten Geräusch nachgab. Es war, als wenn man den Widerstand von einer Sekunde auf die andere wegnahm und man musste aufpassen, dass man nicht hinterherstolperte. Tiefer und tiefer langte ich in Klaras Zimmer hinein, bis meine Schulter vor der Glasfläche war. Jetzt konnte ich in der Spiegeloberfläche herumrühren, wie ich wollte. Auch meine andere Hand konnte ich durch das Glas schieben, ohne einen Widerstand zu spüren.
    
    Es musste wirklich seltsam aussehen, wenn man sah, wie ein Mensch vor einem Spiegel stand, dessen beiden Arme ...
    ... darin verschwunden waren.
    
    Weiter wagte ich mich aber nicht vor, wollte meinen Kopf nicht hindurch stecken. Stattdessen sah ich auf dem einen Tischchen etwas liegen und überlegte mir, ob ich es auf meine Seite herüber holen könnte. Dazu griff ich danach, bekam es in die Finger und zog meine Hände zurück.
    
    Es war eine kleine Brosche, die Klara dort hatte liegen lassen. Nichts besonders Aufwendiges. Es glänzte wie Silber, obwohl es sich dafür zu leicht anfühlte. Wenn überhaupt, war es nur versilbert, nicht massiv. Das spielte für mich aber keine Rolle. Es bewies nur, dass ich etwas auf meine Seite holen konnte. Daher ging ich davon aus, dass es beiderseitig gehen würde.
    
    Gedankenversunken hielt ich die kleine Brosche in der Hand und drehte sie mehrmals hin und her, als ich auf einmal ein Geräusch hörte. Ich sah in Klaras Zimmer und bemerkte einen kurzen hellen Schein, der in etwa daher kommen musste, wo sich die Tür befand.
    
    Neugierig sah ich weiter ins Zimmer und bemerkte einen huschenden Schatten, der sich in meine Richtung bewegte. Ich war gespannt darauf, was ich zu sehen bekam.
    
    Es war Marie. Sie schlich sich durch das Zimmer und stand wenig später vor mir. Sie hatte nicht viel an, nur ein ähnliches Nachthemd wie Klara zuvor. Dies war aber nicht so fein und dick.
    
    Marie stand vor mir und betrachtete zuerst den Rahmen einmal rundherum, wobei ihr Blick einen Moment oben in etwa der Mitte verweilte. Etwa dort musste die Teufelsfratze sein, wenn der Spiegel auf ihrer ...
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