1. Neugier


    Datum: 19.08.2020, Kategorien: Romantisch

    ... nahm mich so, wie ich war. Mit meinen Wunden, meinen Ängsten und auch meinen Träumen. Sogar diesen Körper, der nun leider für sie das falsche Geschlecht aufwies. Wer weiß, wenn es wirklich richtig akut wurde... hing ich wirklich so sehr daran?
    
    Meine Kollegen im Google-Meeting konnten mit meinem plötzlichen Heiterkeitsausbruch natürlich nichts anfangen. Wunderten sich ohne große Nachfrage. Das war der Vorteil der Heimarbeit, in der Firma hätte sicher jemand nachgehakt.
    
    Ob sie sich auch ihre Gedanken gemacht hatte? Es war kurz vor fünf, als ich sie zurückkehren hörte. Keine zwei Minuten später klopfte es an meiner Tür, wie sich das eingebürgert hatte. Okay, dass sie mir um den Hals fiel, und mich küsste, bis mir die Knie weich wurden, war neu. Hoppala.
    
    "Sorry, das musste raus", meinte sie erklärend. "Kommst du rüber? Eigentlich bin ich mit Kochen dran, vergessen?"
    
    "Stimmt ja. Na, ich wollte dir Zeit geben, dich zu sammeln."
    
    "Das ist lieb. Aber ich komme auch gut damit zurecht, herrlich durcheinander zu sein."
    
    "Bist du das?"
    
    "Du etwa nicht?"
    
    "Irgendwie schon. Sehr angenehm durcheinander."
    
    "Siehst du, wir sammeln uns gemeinsam. Du bist meine allerbeste Freundin. Ist doch klar, dass es anders ist, als sonst", schien sie eher sich selbst, als mich beruhigen zu wollen.
    
    "Ich habe wie gesagt keinerlei Vergleichsmöglichkeiten."
    
    "Freitag wirst du Jessica erleben. Dann ändert sich das", meinte sie schmunzelnd. "Du freust dich schon total auf sie, nicht ...
    ... wahr?"
    
    "Natürlich. Sie ist eine wunderbare Frau. Ich muss sie nachher noch anrufen. Ich habe ein, zwei Dinge vergessen, die ich doch gerne hier hätte, und die noch bei meinen Eltern lagern."
    
    "Hast du die eigentlich schon besucht, seitdem du aus Amerika zurück bist?"
    
    "Nein, dafür ist schließlich Weihnachten da. Wir haben telefoniert."
    
    "Oh. Ihr habt nicht so das beste Verhältnis?", fragte ich leicht betroffen, von dem Tonfall, in dem sie das sagte, während ich an ihrem Küchentisch Platz nahm.
    
    "Meine Mutter. Sie kommt nicht so gut damit zurecht, dass ich lesbisch bin. Sie ist immer angespannt, wenn ich da bin. Kritisiert ständig an mir rum. Nicht direkt deshalb, aber das ist wahrscheinlich die Ursache. Nur an Weihnachten nicht, da gehört es sich nicht, zu streiten. Sie ist auch ein bisschen seltsam. Aber eben meine Mutter. Ich verstehe sie manchmal nicht, sie nervt ohne Ende, aber lieben tue ich sie selbstverständlich doch."
    
    "Und dein Vater?"
    
    "Das genaue Gegenteil. Von ihm stammt tatsächlich der Spruch, warum soll es dir anders gehen als mir. Das war seine Reaktion, als ich ihm erklärte, dass ich Frauen liebe. Und wenn ich ihm erzählt hätte, dass es Schäferhunde oder Antilopen sind, wäre das für ihn auch okay gewesen, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Ich bin sein kleiner Augenstern, immer schon gewesen."
    
    "Na, das freut mich. Geschwister hattest du keine, wenn ich mich recht entsinne."
    
    "Nein. Zwei Jahre vor meiner Geburt hat meine Mutter ein Kind ...
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