1. Geschieden, frei und untervögelt


    Datum: 17.12.2020, Kategorien: Schlampen

    ... meine Brüste, dass einer der Knöpfe absprang, als ich etwas tiefer Luft holte. Ich kämpfte immer wieder mit den Tränen und versuchte, irgendetwas Positives an mir zu finden. Immerhin kaum Falten im Gesicht, stellte ich nach einem kritischen Blick in meinen Schminkspiegel fest und redete mir ein, dass ich mich im Vergleich zu anderen Frauen für Mitte vierzig gut gehalten hatte. Und zugleich bieder, hausbacken und ohne Ende langweilig wirkte. Ich war alles andere als zufrieden mit mir, suchte nach Inspirationen, kaufte mir einen Stapel Lifestylemagazine und surfte mich im Internet dumm und dusselig. Es war frustrierend. Auf fast jeder Seite strahlten mich junge, gertenschlanke und hübsch gestylte Frauen an, die ihre Diätgeheimnisse verrieten, Fotostrecken für Bodystylingübungen garnierten oder Makeup-Vorschläge vermittelten. Mutlos blätterte ich mich durch die Seiten, bis mir eine Überschrift ins Auge sprang. "Eine neue Frisur ist ein neues Leben". Wenn das nicht passte. Fasziniert betrachtete ich die vorher-nachher Bildfolgen und konnte mich nicht losreißen. Was waren das für Verwandlungen. Das wollte ich auch. Ich rannte in mein Badezimmer und schaute in den Spiegel. Das ging gar nicht, hämmerte es in meinem Kopf und ich erinnerte mich an den von außen cool und stylish wirkenden Friseursalon, der auf meinem Arbeitsweg lag. Jetzt oder nie, dachte ich, googelte die Telefonnummer, nahm allen Mut zusammen und rief an. Es war an einem Samstagmorgen. "Wenn es Dir passt, kannst Du ...
    ... auch gerne gleich um elf Uhr kommen, eine Kundin hat gerade abgesagt" sagte eine Julia. Ohne Nachzudenken sagte ich ja, packte meine Handtasche und machte mich auf den Weg. Und hatte dabei ein schlechtes Gewissen Marlis gegenüber, die mir seit fast 20 Jahren die Haare schnitt.
    
    "Das ist keine Frisur, das ist ein Unfall" lachte Julia, als ich vor ihr auf dem Sessel saß und wir beide in den Spiegel blickten. Sie wuschelte durch mein Haar und ich sah aus, als wenn ich unter Strom stehen würde. Ich wusste nicht, ob ich mitlachen oder weinen sollte, aber Julia hatte ja an sich recht. Und ich war froh, dass sie nicht ganz so jung war, wie Ihre Kolleginnen. In den Dreißigern, tätowiert, gepierct und raspelkurzen Haaren verkörperte sie zwar einen Frauentyp, der bei mir immer den Reflex zum Distanzhalten auslöste, aber mir gefiel dabei ihre lockere und selbstbewusste Art. In jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von mir. Vielleicht war ich insgeheim auch nur neidisch oder eifersüchtig. Julia zeigte mir einige Fotos von Haarschnitten, die mir allesamt sehr mutig erschienen und ich konnte mich nicht entscheiden. "Ich will einfach ein neues Leben" platzte ich heraus. "Dann habe ich eine Idee, wenn Du mir vertraust" sagte Julia. Und ich vertraute Julia. Als sie die Schere ansetzte, schloss ich die Augen. Ich hatte es seit meiner Jugend immer so geliebt, wenn mir mein Haar über den Nacken und über die Wangen streichelte und jetzt wurde mir mit jedem Schnitt am Kopf kälter und ich traute ...
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