1. Der Bergsee


    Datum: 03.10.2018, Kategorien: Schamsituation

    ... anzusprechen.
    
    Mit dem Finger tippte ich sie an; eine Nonchalance die ich mir nicht zugetraut hätte, zumindest ohne unter dem Einfluss des schweren Rotweins zu stehen, für den dieser Landstrich hier bekannt war.
    
    Sie drehte ihr hübsches Köpfchen zu mir.
    
    "Qu'est-ce que souhaitez-vous, monsieur?", fragte sie in kindlichen Ton.
    
    Eine zu arglose Frage gegenüber eines argwöhnischen Mannes! Sie lächelte mich an. Mir verschlug es für einen Moment die Sprache, ich suchte nach Worten. Nur ich fand keine. Sie redete inzwischen weiter, schüttelte dabei ihr hübsches Köpfchen, behandelte mich wie einen ihrer jungen Freunde.
    
    Ich wurde immer nervöser, weil ich die Lächerlichkeit empfand, so stumm vor ihr zu stehen, übergossen von ihrem prasselnden Geschwätzigkeiten. Das Schweigen war unerträglich. Ich wäre am liebsten weggegangen, aber das schien doch zu brüsk, zu plötzlich.
    
    Unsicher begann ich mich vorzustellen:
    
    "Je sius Roman Faber, et ils?"
    
    Ich hob entschuldigend die Hände und wie durch ein Wunder gelang es mir, das Gespräch in eine mir entgegenkommende Richtung zu lenken.
    
    Ich erfuhr so einiges von dem blonden Mädchen: Ihr Name war Lydia. Sie war mit ihrer Mutter hier, da diese, von schlimmer Schwindsucht gezeichnet, nach reiner Luft gierte und nur fern von der Schärfe des Meeres, weit entfernt von den qualmenden Schornsteinen ihrer Heimat ruhig zu atmen vermochte. Wie ich ihren Worten, aber auch ihrer Garderobe und den feinen Gesten entnahm, sowie diesen ...
    ... altehrwürdig versnobten Drang französisch zu parlieren, sprach ich mit einer Tochter aus gutem Hause. Landadel stand zu vermuten. Denn sie kam aus Leicester, und als ich ihr erzählte, dass ich ich als junger Mann ebendort gearbeitet hatte, als Protokollist in der Verwaltung von Leicestershire, drängte sie es sofort, mich nach dieser, doch merkwürdig anmutenden Tatsache auzufragen, dass ein Deutscher, womöglich noch während des Krieges, im Königreich arbeitete.
    
    Ich vertröstete sie jedoch auf ein andermal, da der Rezeptionist, ein französischer Bürokrat, unhöflich wenn man nicht französisch sprach, dann aber wieder charmant und über alle Maße höflich, nun ihren Namen aufrief.
    
    Aber meine Erscheinung hatte wohl Eindruck auf ihr junges Gemüt gemacht.
    
    Schon am ersten Abend spielten wir Pingpong, unser erstes und letztes, redeten so über dies und das, nichts von Bedeutung; Oberflächlichkeiten, die gleich unserer Spielbälle nur so hin und her flogen.
    
    Und nun, an diesem Regentag, den fünften nach unserem ersten Gespräch, ersuchte ich sie also mich zu begleiten. Es war wohl die Faszination an meinem Wagen und dazu die Aussicht, wenigstens für einen halben Tag ihrer kranken Mutter zu entkommen, die sie, kaum das die Frage gestellt war, mit großen Augen und einer fast ungebührlich festen Umarmung, ein entzücktes und hastiges:
    
    "Naturellement, J'amerais! Très bien! C'est une idée manifique, monsieur!", entlockte.
    
    Wir gingen nach draußen, als meine Begleiterin noch einmal ...
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