1. Chaos-Akt am Freitag


    Datum: 07.02.2019, Kategorien: Kunst,

    Chaos-Akt am Freitag, dem 13.
    
    Ich bin sehr abergläubisch. Allein schon deshalb, weil mein ganzes Leben von Zufällen abhängig war. Niemals ein fester Job, immer auf Gelegenheiten und Events aus und nie eine Garantie, dass es sich auch lohnt. Und wirklich gelohnt hat es sich ganz selten. Dafür habe ich sehr viel von der Welt gesehen. Das ist schon wahr. Aber noch besser wäre es gewesen, Wenn ich dabei auch ein klein wenig mehr Geld in der Tasche gehabt hätte. Wenn man dann als Frau auch noch auf so ein vergängliches und unzuverlässiges Werkzeug wie den eigenen Körper angewiesen ist, den man ja schließlich nicht so einfach austauschen kann, wie ein Maurer seine Kelle, dann ist die Abhängigkeit von Glück und Lebenserfahrung ganz enorm.
    
    Friedrich ist auch abergläubisch, aber nur im
    
    üblichen, alltäglichen Rahmen. Er ist Maler und
    
    Grafiker und er hat ein eigenes Atelier.
    
    Vor 23 Jahren hat er mich als Aktmodell entdeckt und das blieb ich fast 17 Jahre lang mit längeren, sporadischen Unterbrechungen. Bis ich dann vor 6 Jahren ganz bei ihm hängen geblieben bin. Er hatte sich an meinen Kaffee, an meine Bratkartoffeln mit Steak und Spiegeleiern und an meine bunten karibischen Gemüse-Obstsalate gewöhnt. An mich ja sowieso.
    
    Jetzt aber will er mich nicht mehr sitzen sehen, nackt vor seinen Schülern, weil mich ja alle für seine Frau halten. „Das schickt sich nicht“. Dass ich eventuell auch schon zu alt dafür bin, das hat er mir nie direkt gesagt. Da ist er schon Gentleman. ...
    ... Aber ich bin ja nicht doof und eitel, ich weiß ja bescheid. Ich pflege meinen Körper aber trotzdem immer noch so, als wäre er mein wichtigstes Werkzeug.
    
    Sonst finden seine Aktsitzungen für Studenten und allgemein interessierte Laien immer nur am Mittwoch und Donnerstag statt. Mittwochs die Weibchen und donnerstags die Männchen als Modell, und einmal im Monat, am letzten Samstag, auch gemischt. Weil er aber am vergangenen Mittwoch eine Vernissage im Lions Club hatte, musste er die Mittwochsrunde verschieben auf den Freitag. Einen Kalender hatte er wohl nicht dabei, sonst wäre ihm aufgefallen, dass es Freitag, der 13. April ist. Also Heute. Jetzt gleich. Es ist fast schon 17:00 Uhr. Das gibt dann 3 Stunden bei Sonnenlicht und 2 Stunden bei Kunstlicht.
    
    „Welches Modell hast du denn eigentlich für heute bestellt, Fritze? Du weißt doch hoffentlich, dass die Clarissa am Freitag mit ihrer Tochter immer zu den Großeltern nach Pirna fährt.“
    
    Ich ahne einen Flop. Und die Frühlingsluft ist so warm, duftend und kribbelnd, dass einem ganz komisch im Herzen wird. Und anderswo noch viel mehr. Ein herrlicher Abend, an welchem man alle Fenster weit aufreißen möchte. „Sage doch einfach ab, Fritze, ich kann immer noch Bratwürste und Wein holen und wir machen uns einen schönen Grillabend. Wenn es sein muss, dann eben mit deinen Studenten.“
    
    Friedrich ist immer noch damit beschäftigt, die Staffeleien aufzustellen und herumliegende Farben, Pinsel, Skizzenblätter und Spannrahmen in einer ...
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