1. Chaos-Akt am Freitag


    Datum: 07.02.2019, Kategorien: Kunst,

    ... wird dem Friedrich gefallen. Er hasst es nämlich, wenn sich die Modelle stärker bemalen, als er seine Leinwände. Die andere kleine Frau, die Nelly dagegen, ist gestylt wie eine Barbypuppe. Lange blonde gepflegte Haare, blaue Augen mit bläulichen Lidschatten und ein ganz süßes Stupsnäschen. Das Einzige, was nicht zu „Barby“ passt, ist ihre Körperform. Sie ist ziemlich klein, dafür aber wesentlich fraulicher und kräftiger, als Kathrin. Ich finde sie auf jeden Fall sehr süß. Niedlich ist sie.
    
    Als ich Kathrin an die Hand nehme, kann ich fühlen, dass ihre Handflächen schweißnass sind und, dass ihre Hände leicht zittern. Da kommen mir Erinnerungen an mein erstes Mal, damals in München. Das werde ich nie vergessen, wie ich die Tür zum Zeichensaal geöffnet hatte und da standen 30 Leute um ein Mittelpodest herum. Ich kann sie gut verstehen, die Kathrin.
    
    Da ist die Angst noch größer als das Wissen und die Erfahrung. Arme Kathrin. Ich fühle mit ihr. „Sind die Leute, also die..., die Künstler alle schon da?“ kommt auch prompt ihre Frage.
    
    Da kann ich sie beruhigen: „Nein, da ist noch keiner da. Keiner außer dem Friedrich, meinem Kleckselmaler.“ Sage ich mit beruhigender Stimme. „Die anderen kommen immer erst eine gute Viertelstunde später. Das akademische Viertel, des Dozenten Recht und des Studenten Höflichkeit nennen sie das, weil ja der große Meister selten pünktlich fertig ist. Erfahrungssache.“
    
    Als wir drei das Atelier betreten, steht der Friedrich immer noch mitten im ...
    ... Raum und sucht sich seine didaktischen Unterlagen und Skizzen für sein heutiges Thema zusammen.
    
    Was jetzt kommt, das hätte ich vorher prophezeien können:
    
    Die Kathrin geht zu ihm hin und gibt ihm die Hand. „Guten Tag, Herr Graumann, ich bin die Kathrin und…“ Er schaut nur mal so nebenbei auf und murmelt: „Ja, ja, guten Tag, schon
    
    gut.“ Dann blickt er halb entrüstet auf Nelly und motzt: „Die Schminke kommt aber herunter. Sofort, wenn ich bitten darf.“
    
    Er hat schon vergessen, dass er nur ein Modell bestellt hat. Modelle zählen für ihn zum notwendigen Inventar. Ob nackt oder angezogen, ganz egal. Das sind eben keine Menschen im eigentlichen Sinne, sondern sie existieren für ihn nur als Formen. Eine Seele bekommen seine Bilder fast immer erst dann, wenn sie schon ein halbes Jahr in der Ecke eine Staubschicht angesetzt haben. Dann „entdeckt“ er sie ganz plötzlich wieder und macht etwas ganz anderes aus ihnen, als er ursprünglich mal geplant hatte. Ein verrückter Künstler eben. Manchmal hat er dabei sogar eine gute Hand. Leider zu selten.
    
    Ich gehe also einfach in die Saalmitte, schiebe ihn beiseite und sage: „Husch, husch, mach mal Platz! Wir müssen noch das Podest aufstellen und belegen, damit es dann gleich losgehen kann.“ Dann winke ich mir die beiden Mädels heran und zeige ihnen, wo die leicht zusammensteckbaren Teile vom Podest liegen und schleppe selber die große flache Ledermatte und dann auch das beige Leinentuch heran, welches als Auflage dient. Die Mädels ...
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