Zeit fürs Wesentliche
Datum: 18.05.2019,
Kategorien:
Sex bei der Arbeit,
... ihr ein "Hat mir sehr gut gefallen"-Kreuzchen hätte geben können, war vor vier Jahren aus ihrem Bett gestiegen. Ach nein, es war ja gar nicht ihr Bett. Es war sein Bett. Und das seiner Frau.
Marta spürte Mats‘ Blick in ihrem Rücken, als sie sich umdrehte und zu dem Tisch mit den Thermoskannen ging. Und sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass sein Blick ihrem Po oder ihren Beinen galt. Und wenn doch, dann höchstens dem Blumenmuster auf ihrer Strumpfhose.
Sie schenkte sich einen Kaffee ein, kippte etwas Milch dazu, rührte um und starrte in den hellbraunen Strudel. Sie dachte über die Zeit nach. Ihre Unerbittlichkeit. Man konnte ihr sogar dabei zusehen, wie sie verrann. Für alle gleich. Eine Sekunde war eine Sekunde, da gab es nichts dran zu rütteln. Und wenn der Sekundenzeiger eine Umrundung gemacht hatte, blieb allen Menschen eine Minute weniger Lebenszeit. Wäre es nicht besser, jeder würde mit seiner ganz persönlichen Lebensuhr auf die Welt kommen? Eine Sanduhr, die sämtliche Lebenserwartungsstatistiken ihres Besitzers, wie Geographie, Ernährung, Schlaf- und Lachzeit, Zufriedenheit, Glücksmomente und so weiter berücksichtigt, und Korn für Korn auf die andere Seite rieselt. Jedes verbrauchte (oder genutzte) Korn würde am Boden der Sanduhr zu Asche werden. Als Marta einfiel, dass das Häufchen Sand im unteren Teil ihrer Uhr ganz bestimmt schon größer war als das im oberen Teil, durchzuckte sie ein Anflug von Panik. Ob sie ...
... die Uhr einfach umdrehen könnte? Sie lachte laut auf.
"Na, haben Sie sich einen Witz erzählt? Das mache ich auch manchmal. Aber meine Witze sind immer sehr schlecht, ich habe noch nie lachen müssen. Erzählen Sie mir Ihren?"
Gerne wäre sie jetzt schlagfertig gewesen und hätte einen sagenhaft guten Witz, passend zur Situation und zum Seminarthema, aus dem Ärmel geschüttelt. Aber die meisten guten Witze konnte sie sich nicht merken, und selbst von den schlechten fiel ihr gerade keiner ein. "Ich habe über die Zeit nachgedacht", sagte sie also ehrlich und trank von ihrem Kaffee, "und übers Älterwerden." Sie biss sich auf die Zunge. Das ging den Kerl überhaupt nichts an.
"Und das ist lustig?" Sie registrierte, wie er sich mit den Fingern durch das kurze Haar fuhr. Er ist also genauso verlegen wie ich, dachte sie. Als ob das die Sache einfacher machen würde.
"Vermutlich lustiger, als jung zu sterben. Und das ist die einzige Alternative zum Älterwerden." Sie schaute durch die Glastür in den Garten. Als sie spürte, wie sein Blick ihren Körper hinunter spazierte, zog sie unwillkürlich den Bauch ein und hielt die Luft an. Sie sollte mehr Sport machen. Oder weniger essen. Oder beides.
"Sie müssen atmen", sagte er. "Sonst sterben Sie noch jung."
"Dafür ist es zu spät." Sie fühlte sich ertappt. "Frühling wird's", wechselte sie das Thema, "warum genießen Sie nicht die Sonne?"
"Ich genieße lieber noch einen Kaffee. Ihre Nähe wärmt mehr als die Sonne, und ich rede lieber ...