Argonauta Kapitel 03-07
Datum: 02.04.2025,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
... wir müssen uns um eine viel allgemeinere Definition bemühen."
„Okay. Das leuchtet mir ein", antwortete der Chefmaschinist. „Aber wasist Kultur dann?"
„In der einfachsten Definition ist Kultur all das, was Lebewesen von Generation zu Generation auf nichtgenetischem Weg weitergebe und was dabei nicht als bloße Anpassung an die jeweils herrschende Umwelt interpretiert werden kann. Traditionen, die über viele Generationen hinweg überliefert werden, aber nicht in den Genen geschrieben stehen", antwortete Julia.
„Und Wale haben solche Traditionen?", fragte Stewart interessiert.
„Die haben sie in der Tat", antwortete Julia mit einem Kopfnicken. „Wale sind hochsoziale Tiere, die in Gruppen leben, den so genannten Schulen. Ihr Überleben hängt maßgeblich von ihrer Gesellschaft ab und die einzelnen Schulen haben unterschiedliche und gruppenspezifische Laute, so genannte Codas, entwickelt, die nur sie verwenden und keine andere Walschule."
„Wir glauben", sagte der Professor, „dass die Codas eine Art Erkennungszeichen sind."
„Das ist ja schön und gut, aber woher wisst ihr, dass die Laute eine Tradition sind und nicht genetisch vererbt werden?"
„Weil die Wale die Laute erst lernen müssen", sagte Julia. „Sie beherrschen sie nicht von Geburt an, sondern erlernen sie, indem sie die anderen Gruppenmitglieder nachahmen. Aber nicht nur das, beinahe alles, was ein Wal zum Überleben drauf haben muss, muss er erst lernen. Jagen, Kommunizieren, sogar das Tauchen. Bis ...
... beispielsweise ein Pottwal sich bei den anderen abgeschaut hat, wie man richtig taucht und es selbst kann, vergehen gut und gerne drei lange Jahre." „Dann sind Traditionen für die Wale wohl ziemlich wichtig, oder?", fragte der Chief.
„Das sind sie", antwortete Julia, „aber leider wird ihnen genau das immer wieder zum Verhängnis."
„Wieso das?"
Fisher fragte: „Weißt du, warum der Atlantische Nordkaper im EnglischenRight whale genannt wird, derrichtige Wal?"
Stewart schüttelte den Kopf. „Nein, warum?"
„Nordkaper haben eine extrem dicke Fettschicht, Blubber genannt. Vierzig Prozent ihres gesamten Körpergewichts entfällt auf das Fett. Sie schwimmen nur langsam, im Schnitt gerade einmal acht Kilometer pro Stunde, und halten sich bevorzugt in Küstennähe auf. Außerdem gehen die Kadaver der Nordkaper nicht unter wie bei den anderen Walarten, sondern sie treiben einfach an der Oberfläche. Das machte sie zum idealen Zielobjekt für die kommerzielle Waljagd, zum richtigen Wal für die Bejagung."
„Als man den Walen mit riesigen Fangflotten und Harpunen nachstellte, zeigten die Nordkaper praktisch keine Gegenwehr. Als hätten sie sich ihrem Schicksal gefügt. Die Walfänger mussten ihre Beute praktisch nur noch einsammeln. Das Abtrennen des Blubbers vom Körper, das Flensen, geschah oft schon, während das Tier noch im Wasser trieb und nicht etwa erst auf dem Schiffsdeck. Nachdem die Bestände fast an den Rand der Ausrottung gedrängt worden waren und sich die Jagd kaum noch lohnte, gerieten ...