1. Lisa, Fluch oder Segen


    Datum: 28.05.2019, Kategorien: 1 auf 1,

    ... und wir setzten uns zusammen an den Tisch.
    
    Es wurde eine schweigsame Mahlzeit. Beide sahen wir keine Begründung darin, etwas zu sagen, besonders nicht über den vergangenen Abend.
    
    Der Korb mit den Aufbackbrötchen leerte sich. Zum Schluss saßen wir beide da und süffelten aus einer großen Kaffeetasse das dunkle Gebräu.
    
    Auf einmal durchschnitt Lisas Stimme die Stille.
    
    "Weißt du eigentlich, dass ich böse gewesen bin?"
    
    Ich sah Lisa an und verstand nicht, worauf sie hinaus wollte.
    
    "Wann bist du böse gewesen?", fragte ich und sah sie durchdringend an.
    
    "Na, gestern Abend. Ich habe nicht das getan, was das Buch mir gezeigt hat. Meine Aufgabe ist daher nicht erfüllt und ich muss bestraft werden!"
    
    "Ach, nicht schlimm!", meinte ich und schüttelte meinen Kopf, "Du weißt doch, wo kein Kläger, kein Beklagter!"
    
    "Ich klage mich aber selber an. Daher habe ich die Strafe zu erdulden, die ich mir selber auferlege. Das muss sein. Es kann doch nicht jeder machen was er will, solange keiner hinschaut. Oder hat jemand, der über eine rote Ampel übersieht, nur deswegen keine Übertretung des Gesetzes begangen, weil ihn keiner dabei gesehen hat?"
    
    Ich bin kein Jurist, aber die Argumentation war richtig. Es gab nichts, was ich dem entgegensetzen konnte. Doch ich versuchte es trotzdem.
    
    "Wenn niemand dabei zu Schaden gekommen ist, finde ich, sieht das anders aus!"
    
    "Woher willst du wissen, dass keiner zu Schaden gekommen ist? Vielleicht habe ich dir ja damit geschadet, ...
    ... weil ich es nicht gemacht habe. Oder anders gesagt, dir ist deswegen etwas entgangen, was du vielleicht gerne gehabt hättest? Etwas nicht zu tun, kann auch strafbar sein. Wäre wie bei der Ersten Hilfe!"
    
    Mit Lisa zu diskutieren konnte anstrengend sein. Oftmals wusste ich nicht mehr weiter, konnte mich ihrer Argumentation nicht entziehen. Was sollte ich noch dagegen sagen.
    
    "Gut, wenn du es so siehst, dann hast du recht. Was schlägst du also vor, wie deine Strafe aussehen soll? Heute Abend ohne Essen ins Bett?"
    
    "Mach dich nicht lustig über mich. Ich meine es ernst!", kam von Lisa und es hörte sich bedrohlich an, wie sie es sagte. Es war ein lauernder Unterton vorhanden, den ich nur selten bei ihr gehört hatte."Was schlägst du vor?"
    
    "Hmmmm, darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. Also es muss etwas sein, was mir voraussichtlich nicht gefallen wird, sonst macht es keinen Sinn. Mir ist auch was eingefallen. Das werden wir nach dem Frühstück machen!"
    
    Irgendwie war ich gespannt darauf, was sie vorhatte. Sicher etwas, womit ich nicht gerechnet hatte.
    
    Kaum hatten wir den Tisch abgeräumt, verschwand Lisa. Ich atmete tief durch, denn es sah aus, als wenn sie es sich anders überlegt hätte. Aber da hatte ich mich getäuscht, denn auf einmal hörte ich sie rufen.
    
    "Ingo. Kommst du bitte. Ich bin soweit!"
    
    Woher sie mich gerufen hatte, konnte ich nicht sagen, aber da die Tür zum Gästezimmer aufstand, vermutete ich sie dort. Mit klopfendem Herzen ging ich auf die Tür zu ...
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