1. Der Paragrafenhengst - Der erste Ritt


    Datum: 02.05.2025, Kategorien: An– und Ausgezogen,

    ... Vögel auf dem Dach wäre gut. Warum bin ich vorher nicht aufs Klo gegangen? Beim Blick nach vorne fixieren mich Andreas Augen. Andreas ist der Master auf Numbers, der Computerfreak, der dank Vitamin-B in der Controlling-Abteilung untergekommen ist, sich dort aber auch nicht wohlfühlt. Nach einem kompletten Umstyling vor ein paar Wochen sieht er zwar ansehnlich aus, ist aber immer noch zu schüchtern, das auch darzustellen. Mitleidig lächle ich ihn an und nehme mir vor, ihm demnächst wieder mit mehr Worten als ‚Hallo‘ und ‚Tschüss‘ zu begegnen.
    
    Nach einem kurzen Räuspern, das das Gemurmel der Stimmen um mich herum aber auch nicht verstummen lässt (der Anstand wurde bereits weggetrunken) betritt der erste Redner die freigehaltene Fläche. Umrahmt von einer sinnlosen PowerPoint Präsentation werden Zahlen runtergerasselt, monotone Lobeshymnen gesungen und Haare zur Seite gestrichen. Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung ist das Unheil über uns hereingebrochen und keine noch so schönen Fremdwörter können das beschönigen. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass nur 10 Minuten vergangen sind, aber ich fühle mich ausgelaugt wie nach einem ganzen Arbeitstag. Es wird noch schlimmer.
    
    Als ich hoffnungslos nach unten blicke, höre ich eine Stimme. Sie ist tief und vibriert jugendlich, der Schalk wohnt in ihr. Das ist nicht Chef Zwei, sondern unser Rechtsexperte. Von den Männern liebevoll Paragrafenhengst genannt, ist er für uns die Vereinigung von McDreamy, McSexy und dem ...
    ... Pantoffelhelden, der uns eine Wärmflasche reicht, wenn wir unsere Tage haben. Groß, normale Figur, am Schopf leicht ergraut, Ehering am Finger; intelligent, freundlich aber trotzdem unnahbar. McJury kann seine Informationen geschickt nutzen und unseren Kunden Fallen stellen, doch keine von uns ist ihm ins Netz gegangen. Sein Lächeln ist konstant spitzbübisch, aber wissend, sein Auftreten nett, aber nicht aufdringlich. Man kann gut mit ihm smalltalken, aber Privates bleibt im Verborgenen. Wir wissen nur, was alle wissen – drei Kinder, pendelt jeden Tag
    
    50 km und arbeitet gern von 9 bis 19 Uhr, Mittagspause 12 bis 13 Uhr.
    
    Er hat nur ein kleines Manko: seine Kleidung. Ich vermute, dass es in seiner Ehe nicht so gut läuft, denn welche Frau würde ihn mit einer so engen Hose aus dem Haus gehen lassen? Sie ist so ungünstig geschnitten, dass sein Gemächt nicht eingequetscht, sondern plattgewalzt wird. Gleichmäßig verteilt sich die Masse weiblicher Glückseligkeit auf den Streifen von einer Hüfte zur anderen. Keiner kann erraten, wie groß oder klein die Paragrafensammlung unseres Rechtsreferenten ist. Vielleicht ist das Taktik – was nichts verheißt, kann nicht mit Erwartungen belegt werden. Aber begafft werden. Ich muss mich immer wieder ermahnen, ihm ins Gesicht oder wenigstens auf den Fußboden zu sehen.
    
    Denn seine Rede ist einfach wundervoll – untermalt von Bariton redet er sich durch eine Berglandschaft voller tiefer Täler und schneebedeckter Gipfel; kampfstark erzählt er vom Kampf um ...
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