Therapie
Datum: 03.10.2019,
Kategorien:
Kunst,
... kalte Objekt als eine antike männliche Statue. Ein nackter Mann! Ein Mann? Irgendwie nicht ganz komplett.
Das ist mir aber jetzt ganz besonders peinlich. Habe ich dem jetzt sein bestes Stück abgerissen? Ich sehe genauer hin und untersuche mit meinem Zeigefinger die heikle Bruchstelle.
„Na Bumm! Küss die Hand schöne Frau, is ned ihnare Schuid.
Des Stickerl föd a scho länga. Des woan nämli di Schweiza. De hom domois no Vandalen ghaßn, unterm Theoderich, dem Dietrich von Bern. D'Ehre!“
Es ist der ältere Herr vom Empfangstresen. Das einzige Personal, wie es scheint.
Das Stückchen fehlte also schon vor meinem Aufschlagen hier. Da bin ich ja beruhigt.
Was steht da unten: „Der junge David mit der Schleuder von Michelangelo“
Michelangelo? War das nicht erst nach den Vandalen?
Ist ja egal. Nach den Vandalen ist immer auch vor den Vandalen. Siehe eben.
Hat der Mann eben „schöne Frau“ zu mir gesagt?
Na ja, man kennt das schon: so eine höfliche Floskel. Das ist wie bei uns in der Bank, wenn da ein altes armes Mütterchen kommt, das einen Kredit haben will, um Mietschulden und Heizkosten bezahlen zu können.
Da sage ich ja auch immer: „Was kann ich für Sie tun, Gnädige Frau?“
Hat weiter nichts zu bedeuten. Aber vielleicht hat sie ja ne Immobilie.
Ich konzentriere mich voll auf die Bilder an der Wand. Vor einigen Bildern ist so etwas wie ein Vivarium aufgebaut, mit den gleichen Accessoires, wie auf dem Bild. Nur der oder die Nackte(n) fehlen. Da kann ...
... man sich selbst hineinversetzen.
Das probiere ich gleich einmal aus, bei „Picknick im Grünen“, von Monet. Hieß der so?
Ich setze mich nackt, wie ich bin auf den Fußballrasen, vor den Pappeln, ah, den Bäumen aus Pappe, zwischen die Pappkameraden, äh, den Männern von Pappe. Einige Leute bleiben stehen und schauen zu mir hin. Manche lecken sich die trockenen Lippen, manche werden rot und schwitzen, manche blicken kennerisch und genussvoll. Sieht das etwa wirklich gut aus?
Auch ein Ehepaar in den Mittvierzigern bleibt stehen.
„Nein!“ sagt der Mann. (Ich ahnte es doch), „nein, die Frau…, das Mädchen ist ja viel zu dünn. Oh, Entschuldigung, zu schlank, meinte ich natürlich. Weißt du eigentlich, Marianne, dass das mein Lieblingsbild ist? Als wir noch nicht verheiratet waren, da habe ich mir immer vorgestellt, wie schön das wäre, einmal so mit dir zusammen im Wald zu picknicken. Geträumt habe ich davon!“
„Kläuschele! Isch desch jetz willisch dei heilische Ernscht? Desch kannsch aba habbe! Wadde mal…! Dschunge Frau, rücke se do ma e Schtückle.“
Marianne hat sich ihr weitläufiges Kleid über den Hals gezogen, den großen BH und die Wollschlüpfer ihrem Klaus in die Hand gedrückt und beansprucht nackt und gewaltig den Platz auf dem Rasen, neben dem Fresskorb.
Kläuschele ist baff, wird abwechseln weiß und rot im Gesicht und schwitzt.
„Willst du wirklich jetzt hier sitzen bleiben, Marianne? So? Du siehst wunderbar aus, du passt auch ganz genau da rein. Ist das ein Bild! ...