1. SUMMER OF EIGHTY ONE


    Datum: 08.11.2019, Kategorien: 1 auf 1,

    ... Reling des Fährschiffes. Melancholisch blickte er aufs tiefblaue Wasser der Adria. Die letzten Möwen mussten wieder umkehren, das Schiff war schon zu weit auf dem offenen Meer. Die Sonne stand tief, bald stand ihm wieder eine Nacht an Deck bevor. Die Hinfahrt war ein Triumpf, ein Aufbruch in ein neues Leben, er wurde zum Mann. Jetzt in der Gegenrichtung fühlte er sich wie ein geprügelter Hund. Einsam, verlassen und traurig, auf der Flucht.
    
    "Do you speak English" vernahm er hinter seinem Rücken. "Ähhhh..yes" Als Maximilian sich umdrehte, blickte er baff erstaunt in die wasserblauen Augen eines etwa zwölfjährigen Mädchens. "You are not a native speaker" "Ähhh..nö" blieb er einsilbig. "Where do you come from?" "Ähhh..Germany" "Dann können wir ja......."
    
    Innerhalb von fünf Minuten wusste er alles von dem Mädchen. Die Familie Nolte wohnte nahe Koblenz am Rhein. Sie hieß Silvie, ihre Schwester Victoria. Die hatte gerade das Abitur ganz prima bestanden. Darum reisten sie mit Papa und Mama durch Italien, mit einem kurzen Abstecher nach Mykene. Weder sie noch Victoria hätten einen festen Freund, meinte sie grinsend zu Maximilian.
    
    Keine weiteren zehn Minuten waren vergangen, als ihr Papa auftauchte. Das aufgeweckte Kind erzählte die gesamte Lebensgeschichte von Maximilian. Nicht lange hatte sie gebraucht, um ihm alles aus der Nase zu ziehen. Natürlich in einer jugendfreien Version.
    
    Papa Horst rollte mit den Augen. Er kannte seine Tochter und wusste, dass sie ganz schön ...
    ... nerven konnte. Er schickte sie zurück zu Mama. Maximilian lud er in die Bar auf der Fähre ein. Viel Neues konnten sie sich nicht erzählen, Silvie hatte alles erschöpfend erörtert. Aber sie bekamen einen recht guten Draht zueinander.
    
    Horst nahm Maximilian mit zum Abendessen. Natürlich blieb ihm nicht verborgen, dass in seiner Reisekasse Ebbe war. Beide waren nicht mehr ganz nüchtern, als er Maximilian den Rest der Familie vorstellte. Mama Rita war eine sehr hübsche, etwas mollige Mittvierzigerin. Sehr freundlich und offen die ihn mit einem freundlichen Lachen begrüßte. Silvie kannte er schon zur Genüge, sie hatte sich im ausgiebig selber vorgestellt.
    
    Welches Bild machte er sich von Victoria? - Wahrscheinlich gar keines. Oder vielleicht das einer kleinen, molligen Streberin mit dicker Hornbrille. Weit gefehlt, das Mädchen war eine absolute Schönheit. Groß und schlank. Langes, blondes, naturgewelltes Haar. In ihren wasserblauen Augen blitzte gewitzte Schläue. Ihre Brille, modern und totschick, große, runde, randlos geschliffene Gläser verleiten ihr nicht ohne Absicht das Image eines unnahbaren Nerds. Sie trug ihre Sehhilfen nur als modisches Accessoire.
    
    Ihr Anflug von ablehnender Arroganz war aber keineswegs aufgesetzt, es sollte ihre Schüchternheit überspielen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester brachte sie kaum ein Wort über ihre Lippen. Zur Begrüßung lächelte sie scheu, konnte Maximilian kaum in die Augen blicken und nahm seine Hand nur zögerlich. Eine Unterhaltung mit ...
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