Das Ministerium für Bürgerglück
Datum: 13.03.2020,
Kategorien:
CMNF
Lange hatte sie nach einem einsamen, geradezu vergessenen Ort gesucht. Nun blickte sie in das müde gelangweilte Gesicht eines Rezeptionisten, der schon Lange nicht mehr mit Gästen rechnete, und nun verärgert sein Abendbrot von der Platte des Ankunftstresens räumte. Außer ihr und dem ergrauten Mann mochte es im Umkreis von 25 Kilometern keine weitere Menschenseele geben.
Das Hotel, in dem die Frau, den von ihr gesuchten einsamen Ort gefunden hatte, war nicht geschlossen worden. Verlassen lag der weitläufige Gebäudekomplex zwischen kahlen Bäumen in einer abgelegenen, durch Landflucht entvölkerten Mittelgebirgslandschaft.
Dass es trotz der fehlenden Gäste über die Wintersession offen bleiben musste, durfte in der Ära der „Neuen Zeit“ nicht hinterfragt werden. Mürrisch und wortlos drückte der Rezeptionist der Frau einen altertümlichen Tablet-PC in die Hand und begann ihre Identifikationskarte zu überprüfen.
Auf dem kleinen Screen erschien ein weiblicher Avatar, der sie freundlich begrüßte, um sie durch das elektronische Anmeldeformular zu führen.
Das animierte Gesicht erschien der Frau vertraut, obwohl sie es nie zuvor gesehen hatte. Es sah ihr ähnlich. Einen Moment lang meinte sie, auf dem Screen die Schwester zu erkennen, die sie sich immer gewünscht, aber nie gehabt hatte, mit der sie über ihre unheimlichen Träume und Gedanken hätte reden können, die sie seit Wochen quälten. Innerlich zuckend realisierte die Frau, dass die künstliche Intelligenz des ...
... elektronischen Anmeldeformulars die Aufnahme ihres Gesichts leicht verändert wiedergab, um so das Gefühl einer vertrauten, verwandten Person vorzutäuschen.
„Bitte gebe Deinen Namen und Deine Adresse ein.“ Was sollte das? Der Rezeptionist gab doch gerade ebenfalls ihre Daten in sein Computerfeld ein. Warum musste sie es nochmal tun? Die Frau biss sich leicht auf die Lippe und tippte ihren Namen ein. Sie musste aufpassen. Eine despektierliche Äußerung könnte eine negative Meldung an das Ministerium zur Folge haben. Das wollte die Frau unbedingt verhindern.
„Was ist der Grund Deines Besuches?“ Die Frau erschrak, fühlte sich erwischt. Hastig gab sie das Wort Erholung ein und hoffte, dass die künstliche Intelligenz nicht die überdeutlichen körperlichen Symptome ihrer innerlichen Angst registriert hatte. „Hat Dein Wunsch nach Erholung seinen Grund in einem Gefühl des unglücklich Seins?“ Das Herz der Frau begann heftig zu pochen. Entschlossen tippte sie das Wort Nein.
„Bürgerin, bist Du Dir dabei sicher? Hautfeuchtigkeit und Muskelspannung Deiner Hand zeigen abnormale Werte.“ Die Frau hatte sich innerlich wieder gefangen. Ruhig gab sie in das Tablett ein, dass sie den schweren Koffer tragen musste. „Ich wünsche Dir einen schönen Aufenthalt in unserem Hotel.“ Lächelnd blendete sich der Avatar aus.
Die Frau machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Beklommen dachte sie daran, dass sie es nur der geringen Rechenleistung des uralten Tablets zu verdanken hatte, dass ihre Lüge nicht ...