Das Ministerium für Bürgerglück
Datum: 13.03.2020,
Kategorien:
CMNF
... unwillkürlich in das Jackett, als sie durch den Türspalt in den Hotelflur blickte. Der Serviceroboter hatte die Reinigung des violetten Teppichbodens beendet. Leise summend fuhr das tropfenförmige Gerät, seiner Programmierung folgend, die Zimmertüren ab, die herausgestellten Schuhe einzusammeln. Sie sah dem Teleskoparm dabei zu, wie er ihre Halbstiefel ergriff.
Als der Serviceroboter in den Fahrstuhl rollte, standen nur ihre Schuhe auf der Ablagefläche des selbstfahrenden Gerätes. Nun wusste sie, dass sie der einzige Hotelgast auf dieser Etage war. Unruhig wartete sie darauf, dass sich die Fahrstuhltüren schlossen, und der Serviceroboter den Rest der Nacht im Keller bleiben würde. Jetzt war sie allein.
Die 34 Jährige Frau mit der dunklen Kurzhaarfrisur stand aufgeregt in ihrem Hotelzimmer. Der Blick durch das bodentiefe Panoramafenster fiel auf eine neblig trübe Landschaft. Um diese Jahreszeit kam eigentlich niemand her. Darum hatte sie sich dieses Hotel ausgesucht. Mit ihrer inneren Stimme versicherte sie ihrem Verstand immer wieder, dass sie hergekommen war, um sich hier in der Abgeschiedenheit, weit weg von allen Menschen, vom Berufsstress erholen zu können.
Aber war das der wahre Grund ihrer Motivation? Wieder sah sie durch den Türspalt in den langen violetten Verlauf des Hotelgangs. Nein. Sie würde es nicht tun, sich stattdessen gleich mit dem Buch ins Bett legen, um dann am nächsten Morgen einen langen Spaziergang in der Einsamkeit
dieser Winterlandschaft ...
... zu unternehmen. Halb unentschlossen tippte sie auf den Folienbildschirm ihres Jacketts, der auf dem linken Ärmel eingenäht war.
Mit kurzen Wischbewegungen ihrer rechten Hand ließ sie noch einmal die Hotelbewertungen an ihren Augen vorbeirollen, bis sie den Eintrag über dieses Hotel gefunden hatte. Erneut las sie den Warnhinweis, das die Videoüberwachungsanlage dieses Hotels defekt sei, und erst im Frühjahr zur nächsten Saison erneuert werden sollte. Sie würde unbeobachtet sein. Nein. Sie wird es nicht tun! Die 172 cm große Frau nahm sich ihr Buch, setzte sich in den Sessel, der in der Mitte des Zimmers stand.
Unruhig sitzend blickte sie auf den Spalt der immer noch offenen Zimmertür, schüttelte mit dem Kopf und schlug das Buch auf. Sie las drei oder vier Absätze, konnte sich aber nicht weiter konzentrieren. Das Buch sank auf ihren Schoß. Sie war allein. Sie hatte nichts zu befürchten. Nur ein kurzer Schritt in den Flur, um dem inneren Drängen nachzugeben. Noch einmal ergriff sie das Buch, legte es aber sofort wieder ab. Ein kurzer Schritt in den Hotelgang, dann würde sie sofort zurück in Ihr Zimmer gehen.
Der Rezeptionist? Der einzige menschliche Hotelmitarbeiter könnte einen Kontrollgang durch die Etage machen. Nein, das bräuchte sie nicht zu befürchten. Um diese fortgeschrittene Stunde saß er schlafend hinter der Rezeption und vertraute auf automatischen Überwachungsanlagen der Eingangstüren. Vielleicht war er auch schon zu Bett gegangen. Die Frau legte ihr Buch auf ...