1. Der Club der jungen Dichterinnen 08


    Datum: 29.04.2020, Kategorien: Erstes Mal

    ... ihren Weg. Sie versucht sich unter Kontrolle zu bekommen, atmet tief, stockt, fängt dann aber doch an ihr Gedicht vorzutragen.
    
    was ich bin
    
    es sind die frauen die ich liebe
    
    ist ihre sanfte haut
    
    sind ihre weichen kurven
    
    glatt ihre haut
    
    kein haar das stört
    
    mitunter nur ein zarter flaum
    
    bin ich ein mann
    
    weil ich die frauen liebe
    
    oder doch frau
    
    die sich nach ihresgleichen sehnt
    
    noch weiß ich nicht
    
    was ich da unten bin
    
    auch oben ist es nicht entschieden
    
    Sie muss pausieren und alle starren auf ihre Hände, sehen, wie sie das Büchlein sinken lässt, kaftlos, als wären die Blätter darin aus purem Blei. Sie versucht ein paar weitere Zeilen, jetzt ohne auf den Text zu schauen mit einem Blick ins Nichts.
    
    wo ist die hand
    
    die mich berührt
    
    und mir verrät
    
    was ich da unten bin
    
    die eigne traut sich nicht hinab
    
    wie lange noch
    
    muss ich auf antwort warten
    
    und wird die antwort
    
    von da unten
    
    mir sagen
    
    was ich oben bin
    
    Sie kann nicht mehr, stumme Tränen rinnen über ihre Wangen. Stille! Sie sitzt wie erstarrt. Nichts geschieht. Heidrun und Veronika halten sich still in den Armen. Ann-Katrin hebt ihren Kopf und blickt ins Leere. Sybilla regt sich nicht, liegt wie erstarrt in Ilaydas Schoß. Die Zeit scheint still zu stehen. Alle spüren, dass in Eva etwas ist, was sich den Weg nach außen bahnen, was ausgesprochen werden will. Doch Eva bleibt stumm und weint. Dann flüstert Ilayda den verstörten Freundinnen ganz leise zu: ...
    ... „Seid so lieb, lasst uns alleine. Ich kümmere mich um sie."
    
    Alle erheben sich und berühren sacht und sanft die weinende Eva beim Gehen. Ilayda geleitet die traurige Gruppe nach draußen und schließt leise die Tür. Als sie in ihr Schlafzimmer kommt, liegt Eva auf dem Bett und hat ihr Gesicht in Ilaydas Kissen und damit in den Duft ihrer geliebten Lehrerin vergraben.
    
    Das Büchlein liegt geöffnet auf dem Sessel. Ilayda nimmt es sanft auf und liest mit zarter Stimme für sich und Eva die weiteren Zeilen.
    
    ist geben schöner als zu nehmen
    
    erfüllt zu werden mehr als zu erfüllen
    
    wie mag ein mann sich fühlen wenn er gibt
    
    und eine frau wenn sie empfängt
    
    wie fühlen beide sich in ihresgleichen arm
    
    ich warte weiter bis sie für mich da ist
    
    die frau die meine hand nach unten führt
    
    damit ich fühl was ich da unten bin
    
    und weiß was oben mit mir ist.
    
    Sie schließt das Buch und legt es behutsam ab. Dann legt sie sich zu der weinenden Eva, legt ihren Arm um sie und hält sie warm.
    
    Die beiden liegen eine kleine Ewigkeit beieinander und es fühlt sich für beide gut und richtig an. Evas Atem hat sich beruhigt. Sie dreht sich zu Ilayda und schaut ihr tief in die Augen.
    
    „Darf ich mich ausziehen?"
    
    Selbst wenn sie es wollte, Ilayda spürt, dass sie Eva diesen Wunsch nicht abschlagen kann und sie muss sich eingestehen, dass sie ihr auch weitere Wünsche nicht wird abschlagen können.
    
    „Du weißt, dass ich dich liebe?"
    
    Es ist mehr Aussage als Frage der nackten Eva, die ...
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