1. Der Verfolger


    Datum: 06.05.2020, Kategorien: Nicht festgelegt,

    Als ich wie jeden Tag von der Arbeit nach Hause ging, merkte ich, daß mich jemand verfolgte.
    
    Schon in den Tagen zuvor hatte ich das Gefühl gehabt, daß jemand ständig hinter mir war. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen und in sein Gesicht zu sehen. Alles was ich aus den Augenwinkeln erkennen konnte, war, daß es sich um einen Mann mittlerer Größe und Statur handelte, mit kurzem braunem Haar und etwa in meinem Alter.
    
    Um meinen Verdacht zu bestätigen, verlangsamte ich meinen Schritt. Auch er schien langsamer zu werden, so daß der Abstand zwischen uns gleichblieb. Mein Herz klopfte. Was mochte er von mir wollen? War es ein Polizist in Zivil oder ein Privatdetektiv? Aber ich konnte mir dafür keinen Grund denken.
    
    Mein Leben war so langweilig wie man es sich nur vorstellen kann. Ich hatte einen unbedeutenden Job, war Single und hatte keine anhänglichen Ex-Freunde. Ich hatte nie eine Affäre mit einem verheirateten oder liierten Mann gehabt, die eine andere Frau eifersüchtig gemacht haben könnte. Auch hatte ich keine Schulden oder ähnliches. Ich zermarterte mir das Hirn darüber, welchen Verbrechens man mich irrtümlich verdächtigen konnte, kam aber auf nichts.
    
    Vielleicht war es ein Verehrer, der zu schüchtern war, mich anzusprechen. Ja, das mußte es sein. Bei diesem Gedanken fühlte ich mich trotz meines Unbehagens ein wenig geschmeichelt. Daß sich ein völlig Fremder für mich interessierte, war mir noch nie passiert. Ich war zwar nicht häßlich, aber auch keine Schönheit, ...
    ... nach der sich die Männer auf der Straße umdrehten. Ich vermeinte, seine lüsternen Blicke auf meinen Po und meine wiegenden Hüften zu spüren, und errötete.
    
    Unvermittelt blieb ich stehen und gab vor, mich brennend für die Haushaltsgeräte in einem Schaufenster zu interessieren. Würde er die Gelegenheit nutzen, um endlich mit mir Kontakt aufzunehmen? Als er sich mir näherte, hielt ich den Atem an. Beinahe erwartete ich, daß er mir im Vorbeigehen auf den Po griff. Oder sich gar hinter mich stellen und mir über den Nacken streichen würde, seinen Körper an mich gepreßt, so daß ich seine Erektion spüren könnte. Doch er marschierte nur geradeaus weiter.
    
    Er war so knapp an mir vorbeigegangen, daß er dabei den Geruch meines Parfums eingesogen haben mußte. Vielleicht träumte er gerade davon, mir durchs Haar zu streichen, meine Wangen, meinen Hals und meinen Mund zu küssen und meinen wohlriechenden Körper zu liebkosen, so in Gedanken versunken wirkte er. Als wäre er derart in mich vernarrt, daß er sich gar nicht vorstellen konnte, von mir erhört zu werden, sondern sähe mich als eine Traumfrau, die er nur in seinen Fantasien je haben konnte.
    
    Ich erwartete, daß er sich nach mir umdrehen würde, doch er ging unbeirrt weiter. Hatte ich mich getäuscht, und er wollte gar nichts von mir? Bei diesem Gedanken überkam mich gleichzeitig Erleichterung und Enttäuschung. Plötzlich summte sein Handy. Er zog es aus der Hosentasche und starrte darauf. Es konnte kein Zufall sein, daß dies genau jetzt ...
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