Ein jegliches hat seine Zeit
Datum: 02.09.2020,
Kategorien:
Erstes Mal
... geworden, was er getan hatte. In den letzten Stunden seines Lebens, die er schon genau durchgeplant hatte, hatte er sich, einer spontanen Mitleidsregung folgend, eine wildfremde Person aufgehalst. Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass er es sich doch anders überlegt habe und es ihm leid tue, dass er ihr nicht helfen könne. Aber der dankbare Blick, den sie ihm zuwarf, als sie aufstand und die kleine Rei-setasche ergriff, die neben ihr auf dem Boden stand, machte ihm klar, dass er diese Grausamkeit nicht begehen konnte.
"Und ihre Frau, wird ihre Frau denn damit einverstanden sein, wenn sie mich mitbringen", fragte sie, als sie nebeneinander durch den Schnee zu Kampmeyers Haus stapften.
"Ich bin Witwer. Meine Frau und meine Tochter sind vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen", entgegnete Kampmeyer knapp und in einem Ton, der klar machte, dass er mit ihr nicht weiter über dieses Thema reden wollte.
"Das tut mir leid", antwortete sie.
Schweigend gingen sie nebeneinander her. Schließlich waren sie an seinem Haus angelangt. Er öffnete die Haustür und ließ sie hinein. Mit Wohlwollen registrierte er, dass sie sich, bevor sie in den Flur trat, sorgsam den Schnee von den Schuhen geklopft hatte.
Er hängte ihre Jacken an der Garderobe auf und ging dann mit ihr in die Küche.
"Setzen sie sich", sagte er und wies auf einen Küchenstuhl. "Ich lasse ihnen jetzt ein heißes Bad ein, damit sie wieder warm werden. In der Zwischenzeit mache ich ihnen hier unten ...
... ihr Lager zurecht, damit sie sich ein wenig ausruhen können."
"Danke. Sie sind sehr nett."
Kampmeyer brummelte irgendetwas Unbestimmtes und ging dann ins Bad, um das Badewasser einzu-lassen und ein Handtuch für sie bereit zu legen. Während er dabei zusah, wie sich die Wanne füllte, dachte er über seine spontane Reaktion vorhin an der Haltestelle nach. So recht konnte er es sich im-mer noch nicht erklären, warum er diese Unbekannte mit zu sich genommen hatte. Es war wohl ihre offensichtliche Notlage gewesen, die in seinem Unterbewusstsein einen bestimmte Stelle angesprochen und die ihm dann zu seinem Angebot veranlasst hatte. Letztendlich war es aber auch nicht so gravierend, dass sie bei ihm übernachtete. Sie würde wahrscheinlich am späten Vormittag, dann sollten die Straßen geräumt sein, wieder verschwinden und er hätte dann noch die restlichen Stunden für sich.
Als er in die Küche zurückkehrte, um ihr zu sagen, dass das Bad jetzt fertig sei, nahm er sie zum ersten Mal richtig wahr. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig. Ihr glattes, blondes Haar, das ihr bis über die Schultern reichte hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war schlank, aber nicht so erschreckend mager wie andere Frauen in ihrem Alter. Er musste sich eingestehen, dass er sie at-traktiv fand.
"Das Bad ist jetzt fertig. Sie können jetzt reingehen. In der Zwischenzeit mache ich ihnen noch einen heißen Kakao und ein Käsebrot und ihr Nachtlager hier unten zurecht."
Sie nickte ihm dankend ...