Weeslower Chroniken VIII - 2007 - Inês - Kapitel 11 – Im Museum
Datum: 12.12.2018,
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Schamsituation
... dessen Einrichtung in den vergangenen sieben, acht Jahrzehnten kaum verändert worden schien. Es roch nach altem Papier und Staub.
„Hier, hier muss es sein.“ Die alte Dame knipste eine Schreibtischlampe an, öffnete die Schublade eines Sekretärs und kramte darin, während Inês ihr neugierig über die Schulter schaute. Sie hatte längst alle Beklemmung abgelegt, die Gefahr schien vorüber zu sein. Nadine stand etwas entfernt mitten im Raum, Inês Kleid in den Händen haltend, dahinter, etwas verängstigt die beiden Kleinen, die sich hinter ihrer Mama verbargen und vorsichtig an ihr vorbei zu der fremden alten Dame und ihrem splitternackten ´Familienmädchen´ herüber spähten.
„Hier. Das bin ich. Neunzehnhundertvierunddreißig. Mit fünfzehn.“ Sie reichte Inês ein vergilbtes Schwarzweißfoto. Ein Raum, der dem glich, in dem sie sich gerade befanden. Ein Mann in einem Kittel, mit dem Rücken zum Fotografen. Und ein schlankes, schönes, blutjunges Mädchen, das ihm gegenüber in stiller, anmutiger Pose Modell stand. Nackt.
„Es brauchte fast fünfundsiebzig Jahre, bis jemand auf diese Idee kam… Das hier vorn ist mein Vater. Ich habe ihm immer Modell gestanden. Auch für die `Tagträumerin`, die Figur, neben die Sie sich unten gestellt haben.“
„Mein Gott, wie schön Sie waren.“ Inês drehte sich um und reichte das Foto an Nadine weiter.
„Nicht schöner als Sie.“ meinte die alte Dame. „Wenn mein Vater noch leben würde, würde er jetzt sofort zum Meißel greifen.“
„Und ich dachte schon, Sie ...
... würden sich darüber ärgern.“
„Ach was! Was ist denn Nacktheit anderes als Natur? Und Sie sind so schön und so anmutig. Das war doch so ästhetisch und so rein, wie Sie eben dort unten standen. Wie alt sind Sie?“
Inês gab brav Antwort.
„Heute? Herzlichen Glückwunsch, mein Kind, alles Gute! - Wir sind früher hier viel nackig herumgelaufen. Meine Eltern liebten es, und viele Freunde und Bekannte nutzen hier die Freiheit dazu, damals in den zwanziger und dreißiger Jahren. - Nur sehen Sie“, sie tippte auf das Foto, „das trägt man heute natürlich nicht mehr so.“ Und es war klar, dass sie den dunklen Busch im Schoß des jungen Mädchens auf dem Foto meinte. „Momentchen!“ Sie kramte erneut in der Lade und holte ein weiteres Foto hervor. Diesmal war es ein Farbfoto, auch schon etwas verblichen, aber deutlich jünger und schärfer. Darauf lief ein schlankes junges Mädchen fröhlich durch einen Garten, mit wehenden Haaren und gleichermaßen splitternackt wie das auf dem anderen Foto, im Gegensatz zu dieser aber unverkennbar blitzblank im Schoß und durchgehend sommerlich gebräunt. „Meine jüngste Enkelin Nadja.“ Sie drehte das Foto um. „1992. Da war sie achtzehn, fast so wie Sie jetzt. Ein ganz heißer Sommer. Sie kam damals so aus ihrem Urlaub in Südfrankreich wieder, so schön glatt und rein wie es heutzutage ja alle sind. – Sie dürfen die Fotos behalten, als Andenken.“ Inês bedankte sich artig, und die alte Dame geleitete die vier Besucher hinaus. Zum Abschied meinte sie: „Kommen Sie ...