Argonauta Kapitel 12-22
Datum: 15.10.2020,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
... Irgendwann war das Knurren seines leeren Magens nicht mehr auszuhalten gewesen. Obwohl er sich geschworen hatte, seine Würde zu bewahren und das Essen nicht anzurühren, hatte er eingesehen, dass er viel zu hungrig gewesen war. Er würde für sein Vorhaben die Energie außerdem gebrauchen können. Also hatte er am Ende doch nachgegeben und das Essen hastig heruntergewürgt. Anschließend hatte er sich auf seine Pritsche gelegt.
Irgendwann musste er eingeschlafen sein. Das war nicht gut, aber angesichts der Strapazen nicht verwunderlich. Wenigstens war er jetzt ausgeruht. Trotzdem war es leichtsinnig gewesen. Wenn Renner ausgerechnet während er geschlafen hatte hereingekommen wäre, hätte er seine womöglich einzige Chance verpasst. Er hatte nur einen einzigen Versuch, den er nutzen musste, wenn er das Überraschungsmoment auf seiner Seite haben wollte. Eine zweite Chance würde es nicht geben.
Singer stellte fest, dass ihm die Glasscherbe aus der Hand geglitten und auf den Fußboden gefallen sein musste, als er eingeschlafen war. Hastig beeilte er sich, sie wieder aufzuheben. Er prüfte, ob sie noch ganz war. Beruhigt stellte er fest, dass sie intakt und immer noch rasiermesserscharf war.
Er wartete und wartete. Sein Rücken tat von der harten Pritsche höllisch weh. In seinem feuchten Verlies war es kühl und er merkte, dass er fror. Kein Wunder, er hatte seine Jacke nicht bei sich. Sie musste noch in seinem Büro liegen. Singer hoffte, dass er sich an diesem beschissenen Ort ...
... keine Lungenentzündung holte. Es wäre geradezu ironisch, falls es ihm gelingen sollte, seinen Entführern zu entkommen und dann doch von einer Pneumonie dahingerafft zu werden.
Ein leises Rascheln drang von außen durch die schwere Massivholztür. Singer horchte auf. Er hielt den Atem an und lauschte konzentriert. Es hörte sich an wie das Rasseln eines Schlüsselbunds. Dann hörte er Schritte. Erst leise, dann immer lauter.
Das musste Renner sein. Und er kam immer näher.
Mach dich bereit, Mistkerl, dachte Singer und umfasste die Scherbe in seiner Hand so fest, dass das Weiße der Knöchel hervortrat. Seine Hand zitterte unruhig, aber es war unmöglich zu sagen, ob vor Wut oder vor Nervosität. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem gepaart mit blanker Angst. Angst davor, was Jürgens und Renner mit ihm vorhatten. Angst davor, Lydia und Lucie nie wieder zu sehen. Nein, das durfte einfach nicht geschehen!
Die Schritte waren nun so nah, dass es beinahe in seinen Ohren schmerzte. Selbst die dicke Eisentür vermochte nicht, den hellen Widerhall des Echos zu unterdrücken. Dann verstummten die Schritte. Renner oder wer auch immer es war musste nun direkt vor der Tür stehen. Singer vernahm das Klimpern des Schlüsselbundes. Dann hörte er, wie ein Schlüssel langsam ins Schloss eingeführt wurde.
Also gut, dachte er,jetzt oder nie.
Die Scharniere seufzten laut und die Tür schwang behäbig auf. Es war tatsächlich Renner, der Singer mit seiner unglaublich arroganten Miene angrinste. ...