Politisieren geht über Studieren (01)
Datum: 11.11.2020,
Kategorien:
Voyeurismus / Exhibitionismus
‚Freiheit' -- ein Wort, welches meine gegenwärtige Situation nicht besser beschreiben könnte. Zwei Wochen ist es her, seitdem ich mich endlich offiziell als Abiturient bezeichnen darf. Mit einem Notendurchschnitt von 2,4 habe ich zwar wahrlich keine Bäume ausgerissen, in Relation zu meinem Arbeitseifer jedoch ein wahres Wunder vollbracht.
Nun, im zarten Alter von 19 Jahren, stehen mir eigentlich Tor und Tür offen, wie mir die Leute immer sagen. Doch wie so viele meiner Mitstreiter könnte ich planloser nicht sein, sehr zum Leidwesen meiner Mutter und meines Stiefvaters.
‚Jacob, wenn wir aus dem Urlaub wieder kommen, möchten wir zumindest mal irgendeine Idee bezüglich deiner Zukunft von dir hören', waren die strengen Worte meiner Mutter am gestrigen Abendessenstisch gewesen.
Mein Stiefvater hat erst auffällig lange nichts gesagt, doch ich wusste, dass das nur die Vorbereitung für seine üblichen, besonders klugen Ausführungen war: ‚Ich weiß, dass es sich hier sehr gut lebt und man sich der Realität entziehen kann. Doch du bist jetzt 19 Jahre alt und kommst in ein Alter, in dem du anfangen musst, Verantwortung für dich zu übernehmen. Das bedeutet auch, dich nach sinnvollen Karrieremöglichkeiten umzuschauen.'
Erinnerung an die Berufsorientierung in der zehnten Klasse quollen in mir hoch. Es war einer der wenigen Male, an denen meine Mutter, mein Stiefvater und mein Vater sich tatsächlich vereint gegen mich gestellt hatten.
Während ich mir mit einem entspannten ...
... Praktikum in der Stadtbibliothek, die sich als dafür besonders geeignet herumgesprochen hatte, gönnen wollte, wurde ich so lange nach der Sinnhaftigkeit dessen ausgefragt, dass ich dies abhaken konnte.
Stattdessen hospitierte ich in einem Ingenieursbüro, natürlich über einen Kontakt meines Stiefvaters. Ich wurde ausgesprochen viel eingespannt, lernte acht Stunden Tage kenne und musste mich Aufgaben stellen, die eine ziemliche Anstrengung meines Gehirns verlangten.
Ich hasste die Zeit und war froh, als sie, nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ihr Ende fand.
Ich erinnere mich noch heute an das enttäuschte Gefühl, das ich allen dreien gegenüber hatte, vor allem aber meinem Vater, von dem ich gehofft hatte, er würde alleine aus Prinzip meine Ansicht teilen. Ich hatte verkannt, wie schwach und gleichzeitig engstirnig er sein konnte.
Mein Stiefvater hingegen ist, zumindest auf die Schwäche bezogen, das komplette Gegenteil: Während seines BWL-Studiums hat er mit einem Freund aus Kindertagen, der zur gleichen Zeit Informatik studiert hat, ein IT-Unternehmen aufgebaut, welches sich auf die Programmierung von digitalen Sicherheitssystemen spezialisiert hat.
Damit waren die beiden so erfolgreich, dass sie es letztendlich verkaufen konnten und allein die Reichtümer hieraus genügen dürften, um bis an das Ende ihrer Tage ein fürstliches Leben führen zu können.
Doch ein solcher Typ ist mein Stiefvater nicht. Da er sich in der Wirtschaftswelt einen Namen gemacht hat, haben ...