1. Chaos-Akt am Freitag


    Datum: 07.02.2019, Kategorien: Kunst,

    ... das Grillgerät nebst Geschirr, Besteck und Küchenutensilien. Mit mir selbst fange ich an. Ich ziehe mich aus. Komplett. Genau so, wie in alten Zeiten. Komisch. Das habe ich nun schon hunderte Male gemacht und trotzdem wird mir jetzt so seltsam unsicher zumute. Kann ich das noch? Darf ich das noch? Kathrin schaut mir mit großen Stauneaugen zu.
    
    „Mensch, Desiree! Ich hatte gedacht, dass du so einen Stütz-BH darunter trägst. Aber so was brauchst du ja gar nicht. Das sieht ja wirklich gut aus bei dir. Solche Brüste hätte ich auch gerne. Und dass du rotbraune Haare hast, wusste ich auch nicht. Dann sind deine blonden Haare oben also gefärbt? Warum hast du sie nicht so gelassen? Rote Töne sind doch in?“
    
    „Vielleicht, Kathrin, aber ich fand, dass Rotbraun mit Silber irgendwie schlampig aussieht. Na, was sagst du, ist es bei mir zu spät, ehrlich?“
    
    „Nein, Desiree, du siehst richtig gut aus. Du warst bestimmt auch mal ein Schwan.“ Das ist nicht mehr die gekränkte Kathrin von eben noch. Ich bin auch nicht mehr die Desiree von eben noch. Das kann ich fühlen.
    
    „Ich BIN ein Schwan. Nur eben ein älterer. Aber Fliegen und Zuschlagen kann ich noch. Nur eben keine Eier mehr legen. Oder doch? Kommt ganz darauf an, wo die Eier dran hängen…“ Wir müssen beide laut lachen. Die Kathrin hat jetzt auch gar keine feuchten und zitternden Hände mehr, als ich sie an selbigen fasse und wir gemeinsam nackt ins Atelier schreiten.
    
    Es ist so, wie es immer schon war. Die jüngeren Männer tun so, als ...
    ... gäbe es irgendwo in einer Ecke oder draußen vor dem Fenster gerade jetzt etwas ganz Wichtiges zu sehen, aber ihre Pupillen hängen ihnen in den Augenwinkeln. Der Friedrich läuft rot an. Nicht vor Scham, sondern vor Ärger, weil wir heute alle seine Pläne durchkreuzen. Der Frühling hat ihm schon immer irgendwie zu schaffen gemacht. Nur war das früher mal positiv nutzbar. Heute ist es eher belastend für ihn. Nicht aber für mich.
    
    „Desiree! Das sollst du doch nicht machen! Ja, aber danke dafür, dass du die Kathrin wieder aufgebaut hast. Dich, Kathrin möchte ich um Entschuldigung bitten. Es war wirklich vorhin nicht abwertend gemeint, ganz im Gegenteil. Du bist ein sehr gutes und geeignetes Modell.
    
    Wirklich, das meine ich absolut ehrlich. So, und du, Desi, du ziehst dich bitte sofort wieder an und lässt uns hier in Ruhe arbeiten bitte, ja?“
    
    Aus den Reihen der Malschüler kommen mehrere zaghafte aber deutliche „Ooch!“ und „Nein!“ Das geht mir aber runter wie Öl.
    
    „Ich wüsste nicht, Herr Graumann, dass wir miteinander verheiratet sind und dass Sie mir etwas zu befehlen haben. Übrigens: hier drinnen mieft es ziemlich muffig. Ich gehe jetzt in den Garten. Tschau, Friedrich, du oller Muffkopp. Mach deine Sache gut, Kathrin.“
    
    Als ich mich im Gehen noch einmal umschaue, sehe ich, dass die Kathrin sich selbst mit leicht ausgestellten Beinen, In die Hüften gestützten Armen und Händen, sowie mit heraus gereckter Brust, zurückgeworfenem Kopf stolz lächelnd auf dem Podest platziert ...
«12...8910...15»