1. Die Agentur 02


    Datum: 02.08.2022, Kategorien: BDSM

    Marie lag auf ihrem kleinen Bett und starrte an die Decke ihrer Einzimmerwohnung. Ihr Blick verfolgte die feinen Risse im Material, wo der Putz aufgeplatzt war. Eine Bruchbude, welche die überteuerte Miete nicht wert war, die sie Monat für Monat zahlte. Kahle Wände, ein kaltes Fenster, das von der nächtlichen Leuchtreklame der Häuserschlucht, in der sie lebte, erhellt wurde, und eine alte Türe, die auf einen schmutzigen Hausflur führte.
    
    Wie hatte sie nur so tief fallen können? Sie erinnerte sich an die Zeit mit ihrem Ehemann. Sie hatten sich noch während des Studiums kennengelernt. Sie war von seinem zupackendem Wesen, seinem ruhigen Selbstbewusstsein, seinem Fleiß und seinem Ehrgeiz beeindruckt gewesen - und er hatte in ihr eine Bewunderin gefunden, die nur allzu schnell bereit gewesen war, ihre eigenen Bedürfnisse hinten an zu stellen. Ihre Beziehung war so harmonisch gewesen. So rein und selbstverständlich.
    
    Aber aus der verliebten, jungen Marie war nach der Trennung eine verletzte, eine zynische Frau geworden. Im Licht der Scheidung sahen all die erlebten und verlebten Jahre nun ganz anders aus. Die Harmonie war da gewesen, weil sie nie auf etwas bestanden hatte. Immer nachgegeben hatte. Und er hatte immer mehr gefordert, immer mehr genommen, bis er sie auf ein Schmuckstück reduziert hatte, das einen Schritt hinter ihm ging und das er herzeigen konnte. Geblendet von Maries Licht achteten seine Geschäftspartner nicht auf die Details in seinen Deals. Marie war ...
    ... immer das Mittel der Wahl gewesen, um die Ziele ihres Mannes zu erreichen.
    
    Aber eben nur ein Mittel. Ein Ding, ein mittelmäßiges Kleinod, auszutauschen bei Bedarf und Gelegenheit. Er hatte sie abgelegt wie einen alten Mantel, der aus der Mode gekommen war. Was hatte sie sich gedemütigt gefühlt, damals, an diesem Schicksalstag. Sie war müde gewesen nach einem langen Tag, an dem sie seinen vierzigsten Geburtstag geplant hatte. Sie hatte die richtigen Blumengedecke in Auftrag gegeben, die Einladungslisten abgeglichen, hatte den Weinhändler besucht, da der Grauburgunder ihrem feingeistigen Ehemann unangemessen vorgekommen war. Alles auf den Pfennigabsätzen, die er so liebte und die er am Morgen nicht einmal beachtet hatte.
    
    Eine Polizeisirene riss Marie aus ihrer Erinnerung. Die blauen Warnleuchten warfen ein surreales Licht auf die weiße Decke und zeichneten Zauberschatten auf den kaputten Putz und den schmutzigen Stuck. Sie verlor sich in dem Anblick, bis der Einsatzwagen vorbeigefahren war und die Sirene in der Ferne verhallte. Dann brandete die Erinnerung mit Macht wieder heran.
    
    Wie heute war auch damals Nacht gewesen, als sie damals heimgekehrt war. Ein warmer Sommerabend. Sie war erschöpft gewesen, aber auch stolz: Bereit, ihrem Mann zu berichten, was sie Schönes für die Feier seines Ehrentages vorbereitet hatte. Dass er nicht in ihrem geräumigen, modern eingerichteten Wohnzimmer zu finden gewesen war, hatte sie irritiert. Dass von der Galerie aus das warme Licht der ...
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