1. Argonauta Kapitel 08-11


    Datum: 01.07.2019, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... überzogen ihr trotz des gesetzteren Alters immer noch sehr hübsches Gesicht wie feine Linien auf einer Landkarte. Zumeist waren es unbekümmerte Lachfalten. Im Augenblick waren es jedoch Sorgenfalten.
    
    Beruhigend nahm ihre Tochter Lucie ihre Hand. „Es wird schon nichts passiert sein", sagte sie. Doch Lydia sah ihrer Tochter nur sorgenvoll ins Gesicht. Lucie sah aus wie eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter. Schlank, feine Gesichtszüge, dunkelbraunes Haar und einen winzigen Leberfleck auf ihrer rechten Schulter tragend.
    
    „Das ist überhaupt nicht typisch für Donald", sagte die alte Dame.
    
    „Bestimmt hat Dad wieder mal nur Zeit und Raum vergessen. Du weißt doch, wie sehr er immer in seine Arbeit vertieft ist."
    
    „Ich habe ihn angerufen, Schatz", meinte Lydia kopfschüttelnd. „Er sagte, er würde nur noch fünf Minuten benötigen."
    
    „Na, da haben wir es doch. Du weißt doch, dass ‚fünf Minuten' für Vater ein sehr dehnbarer Begriff ist."
    
    Normalerweise hätte Lydia ihrer Tochter recht gegeben, denn wenn Donald einmal in seine Arbeit vertieft war, vergaß er nur allzu leicht jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Aber nicht heute. Am Telefon hatte es sich wirklich so angehört, als müsse er nur noch nach den Autoschlüsseln greifen.
    
    „Nein", sagte sie mit sorgenvoller Stimme, „da muss etwas passiert sein. Vielleicht gab es einen Autounfall und er steckt im Stau fest."
    
    „Dann hätte er doch bestimmt angerufen und bescheid gegeben."
    
    „Und wenn er selbst einen Autounfall hatte und ...
    ... schlimm verletzt ist?
    
    „Willst du etwa in jedem Krankenhaus der Stadt anrufen und fragen, ob Dad eingeliefert worden ist?"
    
    Achselzuckend antwortete Lydia: „Ich denke schon, was bleibt mir denn anderes übrig?"
    
    „Das ist nicht dein ernst!", maulte Lucie vorwursvoll.
    
    „Doch!", sagte Lydia bestimmt. „Schatz, reich mir doch bitte mal das Telefonbuch."
    
    „Das sind doch viel zu viele Nummern", schaltete sich Lucies Verlobter Jamie ein, der sich aus dem Mutter-Tochter-Gespräch bislang herausgehalten hatte. „Es würde viel zu lange dauern, sämtliche Krankenhäuser der Stadt abzuklappern, ohne irgendeinen Anhaltspunkt."
    
    „Er hat recht, Mum", sagte Lucie. „Das würde ewig dauern."
    
    „Aber mir bleibt doch gar keine andere Möglichkeit als es wenigstens zu versuchen!"
    
    „Willst du nicht doch noch wenigstens eine oder zwei Stunden warten, ehe du die Pferde scheu machst?"
    
    Aber Lydia hörte nicht auf ihre Tochter. Sie stand auf und holte sich das Telefonbuch selbst, blätterte die Seiten durch und ignorierte jeden Einwand ihrer Tochter oder ihres zukünftigen Schwiegersohnes.
    
    Lucie seufzte resignierend auf und sagte: „Na schön, du gibst ja doch keine Ruhe. Komm, wir teilen uns die Nummern auf. Jeder von uns telefoniert ein Drittel durch -- du mit dem Festnetz, wir beide mit unseren Handys. Dann geht es schneller."
    
    Lydia lächelte dankbar. Lucie schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf. Wieder einmal hatte sie nachgegeben. Himmel, konnte Mutter stur sein!
    
    Eine halbe Stunde ...
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