Brüste an die Küste
Datum: 04.11.2018,
Kategorien:
CMNF
... die Lage wohl weiter entwickeln würde. Inzwischen wehten schon Äste über die Terrasse. Es war wohl besser, wenn Nuria und Nike bei uns übernachten würden. Die eine Nacht konnte man es schon einmal auf dem Sofa oder auf einer Liege aushalten. Wir schalteten noch einmal den Fernseher ein, diskutierten die gesamte Weltlage von Norden nach Süden, von Westen nach Osten und warteten endlich auf den Wetterbericht. Viel sagte er uns nicht. Man darf sich an die damalige Zeit erinnern. Der Wetterbericht war schon lange nicht mehr das, als was er oft herabgetan wird, es war kein Knochenwerfen, kein Lotteriespiel. Aber dennoch war es, nun schon eine Generation hinter uns liegend immer noch nicht von der Zuverlässigkeit, die wir heute kennen.
Ein Tag im Haus, was machte uns das schon. Mit diesem Gedanken schalteten wir wieder aus.
Wir beschäftigten uns noch mit ein wenig Weißwein, redeten über die großen Probleme der Musikgeschichte, der Literatur, über die theologischen Probleme der Informatik, die Weltlage, ob synthetische Urteile a priori möglich sind, über Pollocks Actionpainting und Gödels Unvollständigkeitstheorem. Nach Andrew Wiles Riesenerfolg diskutierte ich mit Nike darüber, ob man die Goldbach’sche Vermutung irgendwann einmal beweisen könnte und ob es sich bei der Zwölftonmusik um ein harmonisches oder – wie Julia immer wieder betonte – ein erkenntnistheoretisches Problem handelte. Wir waren nackt und lösten die großen, sogar die ganz ganz großen Probleme der ...
... Weltgeschichte. Zufriedener kann ein Mensch nicht sein. So weit waren wir von der Wetterprognose entfernt. Wir schwebten wohlsinnend träumend in der Umlaufbahn.
Dann krachten wir wieder auf die Erde. Nirgendswannimmer hatte ein Raumschiff einen dergleichen Absturz erlebt. Irgendwo in der Nähe war ein Blitz eingeschlagen. Man konnte kaum mit dem Zählen beginnen, dann knallte es brachial.
„Wir übernachten hier!“, meinte Nuria entschieden. Zu diesem Zeitpunkt klang es noch witzig. Aber so langsam verflog der wohlsinnend entspannte Humor.
Eineinhalb Stunden später schien sich das Wetter zu bessern. Wir bereiteten das Nachtlager vor. Julia trank mit Louisa und Nuria noch einen Ouzo, um schrecklichen und deshalb so gefährlichen Magenerkrankungen vorzubeugen. Dann wankten wir erfolgreich in Richtung Bett.
Darf ich ein Intermezzo einwerfen? Ich kann mich an eine Szene erinnern, die sich einige Zeit später ereignete. Louisa war immer schon eine recht begabte Sängerin gewesen und hatte hier ein Talent, weit weit von unseren üblichen protestantischen Kirchenchorfähigkeiten. Damals lag sie da, war nackt wie auch jetzt, wir waren alle nackt wie auch jetzt, schauten auf ihren nackten Bauch, auf dem sie ein bis zum Aufsetzer eingegossenes Ouzoglas gestellt hatte. Sie sang ihre Tonleitern, spannte die Bauchdecke an – und dennoch – man mag es kaum glauben – auch heute nicht – aber ich sah es damals mit eigenen Augen, sehe es auch heute noch mit eigenen Augen vor mir – das Glas hob und senkte ...