1. Nacktes Gretchen (Teil 2)


    Datum: 28.07.2020, Kategorien: Kunst,

    ... werden kann. Man bräuchte sich bloß eine Theaterkarte zu kaufen. Allein schon die Tatsache, dass mich jedermann nackt sehen konnte, war aufs äußerste beschämend.
    
    In den darauffolgenden Wochen stand ich also unzählige Male als Gretchen auf der Bühne. Fast jede Vorstellung war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Ich schaute natürlich immer ins Publikum, um zu sehen, wer in der Vorstellung saß. Ich erspähte immer wieder Leute, die ich kannte. Es waren sehr oft Freunde und Bekannte, ehemalige Schulkollegen, Nachbarn usw. darunter. Klar doch, die wollten mich unbedingt nackt sehen und sie bekamen mich auch zu Gesicht. Und meistens saßen sie sogar in der ersten oder zweiten Reihe, sodass sie mich aus einer Entfernung von rund zwei, drei Metern sehen konnten. Auch wenn ich mich mit der Zeit an meinen Nacktauftritt gewöhnt hatte, war es doch beschämend, wenn ich einen Bekannten oder Nachbarn im Publikum erspähte.
    
    Etwa ab der 20. Vorstellung verlangte der Schauspieldirektor, dass ich mich beim Verbeugen vor dem Publikum am Ende des Stückes ...
    ... wieder entblättern sollte. Das war ziemlich ungewöhnlich, doch er sagte: „Es kommen viele, nur um Dich nackt zu sehen. Mach den Leuten doch den Gefallen, Dich beim Verbeugen so zu zeigen, wie sie Dich alle minutenlang gesehen haben!“
    
    Es war zwar seltsam, aber ich tat es und von nun an zog ich mich vollständig aus, ehe ich vor den Vorhang trat. Der Applaus schien nicht mehr enden zu wollen, denn je mehr applaudiert wurde, umso öfter musste ich vor den Vorhang. Beim Schlussapplaus war auch nicht mehr gedämpftes Licht sondern volle Beleuchtung. Ich stand nun splitternackt im grellen Scheinwerferlicht, um mich zu verbeugen. Obwohl dies alles ziemlich beschämend war und ich mich nie wirklich an meinen Nacktauftritt gewöhnen konnte, denn ich hatte vor jeder Vorstellungen ziemliche Hemmungen, war ich als Schauspielerin schlagartig bekannt. Egal ob es Theater, Film oder Fernsehen war, ich bekam unzählige Rollenangebote. Aber es waren vorwiegend Rollen, die eine Nacktszene erforderten. Bekannt war ich nun wohl, aber ich bin auch nie so oft nackt gewesen. 
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