1. Argonauta Kapitel 12-22


    Datum: 15.10.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... erst noch sehen", sagte sie, unterschrieb ihre Anwesenheit und verschwand dann in der Umkleidekabine.
    
    Nachdem sie sich ihre Dienstuniform angezogen hatte, ging sie in die Kaffeeküche und setzte einen starken Filterkaffee auf. Mit einem großen Becher in der Hand setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Sie fuhr den Computer hoch und loggte sich mit ihren Zugangsdaten ins Intranet der Polizei ein. Der Startbildschirm brauchte eine Weile, um sich aufzubauen.
    
    Während sie wartete, wurde ihr zum ersten Mal die Tragweite des Ganzen bewusst. Es ging nicht mehr um ein theoretisches Übungsszenario, wie sie zig verschiedene an der Polizeiakademie durchexerziert hatte. Das hier war die Realität. Ein echter Mensch war entführt worden, echte Angehörige hofften, bangten und standen Todesängste aus und verließen sich in diesem Moment allein auf sie, Annie Blackthorne. Eine kleine und unbedeutende Streifenpolizistin, die keine nennenswerten Erfahrungen in routinierter Ermittlungsarbeit hatte. Plötzlich fragte sie sich, ob sie dem Fall wirklich gewachsen war. War er nicht doch eine Nummer zu groß für sie? Sollte sie an der Tür ihres Chefs klopfen und ihn bitten, den Fall der Kriminalabteilung zu übergeben?
    
    Sie fragte sich, ob Singer überhaupt noch lebte. Was mochten seine Entführer nur von ihm gewollt haben? Was war ihr Motiv?
    
    Sie warf einen Blick ins E-Mailpostfach und stellte fest, dass die Spurensicherung noch keinen vorläufigen Bericht geschickt hatte. Weil sie noch keine heiße ...
    ... Spur zur Frage „Wer?" hatte, beschloss sie, erst einmal das „Warum?" anzugehen.
    
    Waren die Entführer auf Geld aus? Sie musste die finanzielle Situation der Familie Singer durchleuchten. Als Universitätsprofessor verdiente man ganz bestimmt nicht schlecht, aber sie bezweifelte, dass man bei Singer viel Lösegeld erpressen konnte. Sie ging ihre Notizen durch, die sie sich aufgeschrieben hatte, als sie bei Lydia Singer daheim gewesen war und die Vermisstenanzeige aufgenommen hatte. Mrs Singer hatte viel von sich und ihrer Familie erzählt. Soweit Annie wusste, hatten alle ihre Kinder einen Universitätsabschluss gemacht, was sicher nicht ganz billig gewesen war. Was kostete ein Studium heute noch gleich? Und das Mal drei ...
    
    Lucie, die jüngste, war neunundzwanzig und seit Kurzem in Sydney Assistenzärztin in der chirurgischen Abteilung eines großen Krankenhauses. Sie hatte Lucie an dem Abend selbst kennengelernt und auch deren Verlobten, einen Bankangestellten, der ebenfalls in Sydney wohnte.
    
    Ihre ältere Schwester Phoebe, einunddreißig, war Anwältin für Steuer- und Finanzrecht in einer angesehenen Kanzlei in Brisbane und auf bestem Wege, Partnerin zu werden.
    
    Der Älteste, Jackson, zweiunddreißig, war so etwas wie das schwarze Schaf in der Familie. Auch er hatte zwar studiert, Kunstgeschichte, genau wie sein Vater. Dann hatte er aber keine Lust auf eine akademische Karriere gehabt und sich sein gesamtes Erbe auszahlen lassen und sich eine Ranch mitten im Outback gekauft, wo ...
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