1. Argonauta Kapitel 12-22


    Datum: 15.10.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... immer wieder zu. Seine Gedanken drifteten fort in die Vergangenheit. Wann war er zuletzt so rasend vor Wut gewesen, wie in diesem Augenblick?
    
    Plötzlich war er wieder in Montana. Dorthin war er gekommen, kurz nachdem seine Mutter und ihre Freundin den Tod gefunden hatten. Renner war nun eine Vollwaise und noch zur Schule gegangen, hatte für seinen Lebensunterhalt also noch nicht selbst sorgen können. Also hatte das Jugendamt seinen Onkel mütterlicherseits als vorläufigen Vormund für ihn bestimmt. Bis er auf eigenen Beinen stehen konnte, sollte er bei seinem Onkel leben. Onkel Bill hatte eine riesige Pferderanch in Montana. Es war im Grunde genommen ein gigantisches Gestüt, das immer viel Arbeit machte und doch kaum etwas abwarf. Onkel Bill hatte deshalb beinahe immer Geldsorgen. Deshalb kam ihm der verzogene Sohn seiner verstorbenen Schwester gerade recht. Renner war zwar dürr und mager. Trotzdem schonte er ihn nicht und ließ ihn die härteste körperliche Arbeit verrichten. Tagelang musste Thomas unter sengender Gluthitze die morschen Zäune reparieren. Als Vormund hatte sein Onkel auch das Recht erwirkt, über Thomas' Erbe verfügen zu dürfen. Bis heute wusste Renner nicht, wie der Alte es genau angestellt hatte, dass er sich das Vermögen, das eigentlich ihm hätte gehören sollen, hatte unter den Nagel reißen können. Doch anstatt das Geld klug in den Ausbau seiner Ranch zu investieren, hatte er es verzockt. Bill hatte ein notorisches Spielproblem und so verlor er schleichend ...
    ... Renners gesamtes Vermögen an die Spielbanken und an zwielichtige Kredithaie. Was nicht für seine Spielsucht drauf ging, das versoff der Alte im Pub. Onkel Bill war eigentlich immer blau, immer schlecht gelaunt und immer ein Arschloch.
    
    Renners einziger Lichtblick während dieser Zeit war Emily.
    
    Emily war Bills Tochter, seine Cousine, und die schönste Frau auf Erden, fand er. Genau wie er, war sie damals gerade achtzehn gewesen und bildhübsch. Ihr sommersprossiges Gesicht, ihre lockige dunkelhaarige Mähne und ihr etwas burschikoses Auftreten ließen sie auf den ersten Blick als sprödes Mauerblümchen erscheinen. Aber hinter der Fassade verbarg sich eine edle Rose, die immer dann zum Vorschein kam, wenn Emily auf ein Pferd stieg. Emily war eine begnadete Reiterin. Sie verbrachte mehr Zeit auf dem Rücken eines Pferdes als in der Schule und sie war sehr begabt. Egal ob Geländelauf, Hürden oder Dressur - in jeder Disziplin glänzte sie und sie war auf einem guten Weg, eines Tages die beste Vielseitigkeitsreiterin des Bundesstaates Montana zu werden, vielleicht würde sie sogar irgendwann einmal bei den Olympischen Spielen teilnehmen und um Gold kämpfen.
    
    Die Verwandlung Emilys setzte immer ein, wenn sie an einem Turnier teilnahm. Dann bändigte sie ihre widerspenstigen Haare mit einem Glätteisen und in ihrem Kostüm sah sie wie ein Engel aus. Sie hatte dann gar nichts Tomboyartiges mehr an sich, sondern war eine elegante Dame, die jeder Junge im Ort gerne als Freundin gehabt hätte. ...
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