1. Argonauta Kapitel 12-22


    Datum: 15.10.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... bin ein lebendes Michelinmännchen, dachte sie.
    
    Es hatte zu regnen begonnen und der Wind peitschte den Insassen des Bootes Regentropfen ins Gesicht. Es war aber nicht die Seekrankheit, die dafür sorgte, dass sich ihr der Magen umdrehte, sondern das flaue Gefühl, das sich immer einstellte, wenn sie vor einer Art Bewährungsprobe stand. Der Professor hatte sie dazu auserkoren, den Sender anzubringen. Das hieß, dass Erfolg oder Misserfolg des Unterfangens allein in ihren Händen lagen. Natürlich wollte sie sich auch vor den anderen im Boot nicht blamieren - weder vor ihrem Doktorvater, noch vor McKenna. Und ganz besonders nicht vor Florian. Aus irgendeinem unerfindlichen Grunde wollte Julia ganz besonders vor ihm nicht wie eine Versagerin dastehen.
    
    Jedes Mal, wenn das Boot einen Wellenkamm bezwungen hatte, flog es für den Bruchteil einer Sekunde durch die Luft und schien einen winzigen Augenblick lang schwerelos zu sein. Dann landete es mit einem lauten Klatscher wieder auf der brettharten Wasseroberfläche, Gischt schäumte auf.
    
    „Dort, direkt vor uns. Noch knapp dreißig Meter!", schrie Fisher laut gegen den heulenden Wind und den brüllenden Motor an, doch er war trotzdem kaum zu verstehen.
    
    „Wie weit wollen Sie ran?", fragte McKenna.
    
    „So nah wie möglich."
    
    „Aye."
    
    „Gut, jetzt die Geschwindigkeit drosseln. Wir wollen das Tier nicht erschrecken."
    
    McKenna drosselte den Motor und langsam verlor das Beiboot an Fahrt. Mit Schrittgeschwindigkeit näherten sie sich den ...
    ... beiden Walen an.
    
    „Gut so, und jetzt auf Geleitkurs gehen."
    
    Das war einfacher als gesagt. Die beiden Wale waren unter der aufgewühlten Wasseroberfläche kaum zu erkennen. Sie schwammen in gemächlichem Tempo dicht unter der Oberfläche und folgten mehr oder weniger dem Verlauf der Küstenlinie. Sie waren abgetaucht und ihre genaue Position nur vage zu erahnen. Immerhin hatten sie gesehen, dass es tatsächlich eine Mutter und ihr Kalb waren. Das Junge musste erst wenige Tage alt sein. Schon jetzt war es ein echtes Riesenbaby, fast vier Meter lang. In zehn Monaten würde es dank der besonders fettreichen Milch seiner Mutter seine Länge bereits mehr als verdoppelt haben und dann knapp neun Meter lang sein. Ausgewachsen war es vielleicht einmal fast achtzehn Meter lang und dreißig Tonnen schwer.
    
    „Haltet nach dem Blas Ausschau!", befahl Fisher.
    
    „Warum kriegen die Wale ihre Jungen eigentlich hier? Ich meine, in den antarktischen Gewässern gibt's doch viel mehr Krill, also mehr zum Fressen als in den tropischen Gewässern", fragte Florian.
    
    „Das wissen wir noch nicht mit Gewissheit", antwortete Fisher. „Früher glaubte man, dass die Kälber ihre Körpertemperatur noch nicht so gut halten können, weil ihnen der dicke Blubber noch fehlt. Und dass sie das tropisch-warme Wasser bräuchten, um nicht zu erfrieren."
    
    „Und heute glaubt man das nicht mehr?", fragte Melina.
    
    „Nein", antwortete Julia, „es gibt nämlich sehr wohl Walarten, die problemlos ihre Jungen im Antarktischen Ozean ...
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