1. Das Haus im Venn


    Datum: 30.01.2019, Kategorien: Romantisch

    ... Unfall selbst konnte ich mich nicht mehr erinnern. Es war alles in meinem Gehirn gelöscht. Vor Gericht hatte der Richter Verständnis für mich und da ich quasi eine unbescholtene Kollegin war, bekam ich nur eine Bewährungsstrafe. Weil ich jetzt aber vorbestraft war, verlor ich meine Arbeit bei der EU. Immerhin hatte ich nach fünfundzwanzig Jahren Anspruch auf eine Rente.
    
    In der Zeit danach versuchte ich mich als Anwältin selbständig zu machen. Aber es lief nicht und um nicht immer allein zu sein, fing ich an, in Bars zu gehen."
    
    Marie pausierte und schaute mich an: "Willst Du noch mehr wissen, oder wird es Dir zu unbequem?"
    
    Unsicher rutschte ich auf der Bank hin und her und versuchte ihr in die Augen zu schauen. Ihr Blick war traurig und desillusioniert. Wenn ich sie jetzt nicht weiter erzählen lassen würde, wäre es vorbei und ich könnte gleich weiterwandern. Ich versuchte ruhig und gelassen auf sie zu wirken und sagte: "Erzähle weiter."
    
    Marie setzte fort: "Um den Tag zu überstehen, habe ich immer mehr getrunken und bin in immer mieseren Bars abgestürzt. Eines Nachts habe ich einen Kerl abgeschleppt und wir haben ziemlich schräge Dinge im Bett gemacht. Mitten in der Nacht bin ich dann schreiend aufgewacht, weil plötzlich die Bilder von dem Unfall wieder in meinem Kopf waren. Ich sah die tote Mutter und ihr blutüberströmtes Kind in dem völlig zertrümmerten Auto. Völlig hysterisch habe ich wild um mich geschlagen und geschrien. Der Typ in meinem Bett wusste nicht, ...
    ... was los war und hat die Polizei gerufen. Ich kam dann für ein halbes Jahr in die Psychiatrie, bis ich wieder halbwegs stabil war.
    
    Als ich wieder entlassen wurde, wohnte mein Exmann mit seiner neuen Familie in unserem alten Haus. Es hat mich nun nichts mehr in Brüssel gehalten. Da erinnerte ich mich an dieses Haus von meiner Großmutter. Von der EU bekomme ich immerhin noch eine Rente, die es mir erlaubt hier auskömmlich zu leben und nach und nach das Haus wieder bewohnbar zu machen."
    
    Marie nahm ihr Glas und leerte es in einem Zug. "Das ist jetzt fünf Jahre her und seit dem habe ich mit keinem Mann mehr geschlafen."
    
    Sie senke ihren Blick, nahm ihr Besteck auf und begann mit einem leeren Gesicht weiter zu essen.
    
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Der Gedanke an Sex war mir jetzt auf jeden Fall vergangen. Schweigend saß ich vor meinem Teller und dann fing Marie plötzlich an heftig zu weinen. Ich wollte sie trösten und fing an mit: "Das kann jedem passieren...". Sie sah mich so abgrundtief verloren an, dass ich aufhörte zu reden. Dann sagte sie: "Es ist nicht jedem passiert. Ich habe sie umgebracht."
    
    Irgendwann fing ich einfach an zu reden und erzählte ihr von meinen gescheiterten Beziehungen, weil ich mich nie binden konnte. Aber auch von Moni, die mir mehr bedeutet hatte, als mir bewusst war und durch deren Tot ich erst gemerkt hatte, wie sehr sie mir fehlte. Auch von Jenny und unserer ungelösten 'Nichtbeziehung' berichtete ich. Genauso wie von meinem immer ...
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