1. Walhalla


    Datum: 10.03.2022, Kategorien: Romantisch

    ... oder akut?"
    
    "Akut. AML. Und ich habe wohl zu lange mit dem Arztbesuch gewartet. Jetzt sind die Heilungschancen minimal."
    
    "Ja. Das ist keine einfache Situation für dich. Du hast die ersten Runden Chemo hinter dir?"
    
    "Noch eine Infusion, dann Pause, und dann geht es mit Tabletten weiter. Du kennst dich aus?"
    
    "Mit Leukämie nicht direkt. Mit Krebs schon."
    
    Sie sah mich scheu an.
    
    "Du bist der Erste und Einzige, der nicht offen oder versteckt vor Mitleid überfließt, wenn er mich anschaut. Nochmal die Frage, warum?"
    
    "Du bist eine Kriegerin. Du wirst den Kampf aufnehmen. Ob du ihn gewinnst, oder verlierst, ist bedeutungslos. Es geht nur darum, dass du es tust."
    
    "Ich bin eine... was? Junge, du redest eine gequirlte Scheiße... ich sollte in diesem Jahr achtundzwanzig werden. Jetzt werde ich wahrscheinlich nicht mehr mal das. Kampf... ich kann gar nichts tun, das ist es ja, was mich so runterzieht. Verstehst du? Nichts, absolut nichts kann ich tun. Entweder fällt Weihnachten und Ostern auf einen Tag, und mir hilft dieser Dreck, den sie mir in den Körper pumpen, oder nicht. Verstehst du? Wie unfair die ganze Scheiße ist?"
    
    "Das musst du so empfinden, natürlich. Aber ich meinte nicht den Kampf gegen die Krankheit. Sondern den Kampf gegen die Angst. Gegen die Versuchung, aufzugeben. Gegen den Rückzug vom Leben. Gegen das Gefühl, nichts mehr hoffen oder wollen zu dürfen und können. Das ist der Kampf einer Kriegerin."
    
    "Wozu? Was für einen Sinn soll das alles ...
    ... noch machen? Ich lebe vielleicht noch ein paar Monate."
    
    "Vielleicht. Aber wie viele von deinen bisherigen Tagen hast du bislang wirklich gelebt?"
    
    "Wovon redest du? Wirklich gelebt? Was soll der Dreck? Ich habe wirklich andere Sorgen."
    
    Natürlich, das musste sie so sehen. Die Aggressivität, die sie entwickelte, war doch schon einmal großartig.
    
    "Gut. Dann sage mir, was deine Sorgen sind."
    
    "Merkst du's noch? Krepieren zum Beispiel."
    
    "So, so. Das geht allen so, du wirst lachen. Zumindest vorgeblich so. In Wirklichkeit ist es die Sorge, in der vorgegebenen Zeit nicht all das erreicht, gelebt, genossen zu haben, was möglich war. Die plötzliche Gewissheit, dass alles zu Ende geht, es keine zweite Chance gibt. Nichts, von dem, was unerreicht blieb, ungetan blieb, nicht erlebt wurde, noch nachgeholt werden kann."
    
    "Lass mich doch mit diesem schwachsinnigen Gewäsch in Ruhe, und sag mir konkret, was ich tun soll, verdammt."
    
    "Hör auf, dich selbst zu bemitleiden. Nimm den Kampf auf. Nimm jeden Tag so, wie er kommt, als Chance, das zu tun, was du willst und kannst. Mobilisiere alle Kräfte und setze sie ein."
    
    "Und dann?"
    
    "Bist du in Walhalla."
    
    Sie schüttelte den Kopf.
    
    "Ich hätte es wissen müssen, als du mir sagtest, du wärst seit langem ein Freund von Hannah. Du hast doch genau wie sie voll den Lattenschuss, du Vogel, du bist sogar noch abgedrehter als sie."
    
    "Ah, hat sie das über mich erzählt?"
    
    "Nein, natürlich nicht. Für sie bist du ein großer Guru, ...
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